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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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saß. Aber dies fiel ihm schwer, und mehr als einmal blickte er doch ganz verstohlen von seinem Tellerbrot auf und sah schnell zu ihr hinüber. Sie lachte vergnügt und scherzte fröhlich mit allen Mitgliedern des Hauses, die in ihrer Nähe saßen. Ihre Fröhlichkeit lag wohl auch daran, dass ihr Mann ein großes Geschäft abgeschlossen hatte. Sechs schwere Kerzenleuchter waren der erste große Auftrag für die prächtige Kathedrale von Bath, die, immer noch im Bau, einmal damit ausgeschmückt werden sollte. Der Bischof der Stadt vertraute Bordens Geschmack wie auch seinem Ruf als Goldschmied. Zur Feier dieses Tages hatte der Meister ein prächtiges Essen auftischen lassen: wilde Tauben mit einer braunen Soße aus Kastanien. Die Füllung bestand aus frischen Taubeneiern, die von der Köchin in heißer Asche gegart worden waren. Jedes Mitglied des Hauses durfte so viel essen, wie es Lust verspürte, und dies war schon eine noble Geste, die allesamt genossen. Dazu trank man Dunkelbier aus Cornwall, und es gab Brot, sogar weißes Brot, für alle.
    So schmausten die Mitglieder des Hauses voller Hingabe, und alles lachte und scherzte fröhlich am Tische des Borden.
    Gwyn hatte wohl Augen für das prächtige Essen, aber noch mehr genoss er es, Agnes Borden zu sehen. Nur einmal einen ihrer kurzen, vergnügten Blicke erhaschen, in der Hoffnung, daraus etwas zu erfahren. Seit er den Lehrknaben zu ihr gesandt hatte, hatte er sie nicht mehr gesehen. Und er war unruhig geworden, von Tag zu Tag etwas mehr. Waren seine Worte des Dankes doch zu plump ausgefallen, oder hatte er sich gar zu viel auf dieses feine Geschenk eingebildet? Lady Borden galt als freigiebige, warmherzige Frau, deren Gunst sich viele Menschen erfreuten. Hatte der Junge doch nicht alles gesagt?
    Fast zwei Stunden aßen und tranken Borden und seine Frau, all die Gesellen und die Lehrlinge, bis hinunter zu den Hausknechten und den Unfreien. Dann stand die Lady mit einem Mal auf und küsste ihrem Gemahl die Hand und dann die Wange. Keine ungewöhnliche Geste zwischen den beiden Eheleuten. Dies war bekannt im Hause, und niemand hatte sich daran zu stören. Wie zufällig schritt sie an Gwyns Platz vorbei, das lange Kleid ein wenig gerafft, damit der Saum nicht über den Boden schleifen konnte. Sie verlangsamte ihren Schritt an Gwyns Schemel und sagte gerade so laut, dass nur er allein die Worte verstehen konnte:
    »Herr Carlisle, wenn ich mein Nachtgebet spreche, werde ich Euch in meinem Gebet würdigen.«
    Gwyn fühlte, wie er rot wurde. Er erhob sich rasch und verbeugte sich ein wenig in ihre Richtung. »Was ist der Grund dafür, dass Ihr mich in Eurem Gebet bedenkt?«
    Sie lachte leise. »Betet mit mir, und Ihr könnt es hören.«
    Sie wandte sich um und verschwand durch die kleine Türe, die in die winzige Kapelle führte. Solch eine Kapelle besaßen nur wenige Häuser in Bath. Ein Haus galt ‒ nicht nur in Britannien ‒ zu jener Zeit als besonders wohlhabend, wenn sich solch ein Raum, geschmückt und von frommer Hand geweiht, im Anwesen eines Nichtadeligen befand.
    Gwyn spürte, wie er schwitzte.
    Dies lag nicht nur an jener warmen Luft, die von den vielen Menschen in diesem Raum ausging. Er spürte dieses eigenartige Gefühl, das ihn immer dann befiel, wenn er an die Lady dachte. Er redete sich ein, er liebe diese Frau nur mit jener hingebungsvollen, aufrichtigen Liebe, wie sie die Edlen in der Minne pflegten. Und behaupteten jene nicht, man könne sich über diese Gedanken einer Frau nähern? Es sei keine Sünde dabei, denn so verehre auch ein Priester die Jungfrau Maria, die Mutter des Herrn. Wohl war bekannt, dass nicht alle Priester es bei jener tiefen Liebe beließen, aber mehr als diese Art der Liebesschwüre war ja auch bei Strafe verboten.
    Gwyn stürzte den Rest Dunkelbier hinunter, als wäre es Wasser. Er fühlte sich jedoch ganz frisch und wach. Der Wunsch, die Frau zu sehen, mit ihr zu sprechen und sie gar zu berühren, wenigstens einmal, aber so, dass es Anstand und Sitte wie die Würde der Frau nicht verletzte, begann ihn aufzuwühlen, so sehr, dass er sich kaum mehr zu helfen wusste. Er stand auf, bemüht, ruhig und ohne Hast zu wirken. Er verbeugte sich in Richtung des Lehrherrn und wünschte ihm eine gute Nacht. Borden erwiderte den Gruß und hob zur Bekräftigung seinen Becher. Gwyn ging langsam aus dem Saal, im Gang noch eine Weile das fröhliche Lachen und Sprechen der vielen Stimmen in der Werkstatt hörend.
    Als er die Türe zur Kapelle

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