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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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besondere Ehre es war, für das Haus des Borden zu fertigen. So machte sich der junge Geselle selbst mit Feuereifer an die Arbeit. In den folgenden Tagen ließ der Meister ihn überall einmal mitarbeiten. Nach Ablauf der fünf Tage eröffnete er Gwyn seine Bestallung zum festen Gesellen. Doch er durfte vorerst kein eigenes Werkstück anfertigen. Auch ein Auftrag blieb ihm verwehrt.
    Borden beschäftigte keinen Vorsteher für seine Werkstatt. Diese Aufgabe übernahm er selbst. Der versierte und künstlerisch talentierte Mann, mit einem sicheren Blick für Form und Maß, ließ es sich nicht nehmen, immer wieder mit neuen Entwürfen zu glänzen. Aber er versuchte sich auch immer wieder an Experimenten, welche die Arbeit seines Standes bereichern oder gar erneuern konnten. Dann bestimmte er einen Gesellen oder gar einen Lehrling, ihm bei seiner Arbeit zu helfen und hierbei zur Hand zu gehen.
    Jeden späten Vormittag ließ Borden ein Gebet sprechen. Dies war Aufgabe des Jüngsten im Hause, meist ein Lehrknabe. Danach ließ er schwarzes Bier und frischen weichen Käse sowie dunkles Brot austeilen. Dabei ruhte jegliche Arbeit. In dieser Zeit konnte man Borden erzählen und sogar lachen hören. Sonst war er ein Mann, der als korrekt und tugendhaft galt. Er war gottesfürchtig und ein Feind jeglichen Müßigganges. Erst am späten Abend, wenn die Sonne längst hinter den Midlands verschwunden war, sammelten sich alle Mitglieder des Hauses um den langen Tisch in der Eingangshalle der Werkstatt. Dort aßen dann alle ihr Abendbrot, das reichlich und gut gekocht serviert wurde. Der einzig arbeitsfreie Tag war der Sonntag. Hier besuchte Borden die Messe, und mit sichtlichem Behagen genoss er es, in Bath bekannt zu sein. Eine eigene Kirchenbank an der Längsseite neben dem Altar war ein weiteres Privileg, welches die Bordens seit Generationen innehatten. Niemand sonst durfte an dieser Stelle aus der Messe beiwohnen, außer dem König und den Adeligen, die mit Borden auch freundschaftlich verkehrten.
    So verbrachte Gwyn die ersten sechs Monate in Bordens Haus. 
    Dieser Freitag war lang gewesen, und Gwyn war ein wenig müde. Seine Augen schmerzten, weil er sich ständig auf die kleinen Dinge konzentrieren musste, welche er gerade fertigte: einen Schrein, der mit Motiven aus dem Leben der heiligen Gertrud belegt werden sollte. Ein durchreisender Händler hatte Folianten aus Paris mitgebracht. Die französischen Faber benutzten sie als Vorlage für feine Ansichten der Heiligen auf ihren Arbeiten. Gwyn fand die Vorbilder reizvoll und zeigte sie dem Meister. Und Borden war auch Menschenkenner genug, um gleich zu merken, was Gwyn gerne tun mochte: eine eigene Darstellung der Szenen, verbunden mit seiner eigenen künstlerischen Ausführung.
    So ließ der Mann den Gesellen gewähren, denn Gwyn hatte seinem Hause in kurzer Zeit viele neue Gedanken beschert.
    In den letzten Tagen war der junge Faber beschäftigt gewesen, die Szenen mit feinen Emailschmelzungen zu versehen. Jedes Bild wurde mit einem zarten Steg aus reinem Gold umschlossen und dann verlötet. So war jedes Motiv für sich abgeschlossen und konnte ganz genau betrachtet werden. Der Auftraggeber, eine wohlhabende Familie aus Bristol, war zufrieden, und der Auftrag würde ein weiteres Beispiel in der Kette von zahlreichen Stücken sein, die Gwyn fertigte.
    Es war Abend, und bis zum Einbruch der Dunkelheit konnte es nicht mehr lange dauern. Gwyn stand am Brunnen im Hof und wusch sich. Gleich würde es Essen geben, ein Moment, auf den nicht nur Gwyn sich ehrlich freute. Immer war der Tisch reich gedeckt, denn es war Bordens Meinung, dass, wer fein arbeite, auch fein essen müsse. Selbst kein Kostverächter, hatte er zwei alte Frauen in seinen Diensten, die sich als Köchinnen immer wieder übertrafen.
    Das Wasser aus dem Brunnen war warm. Wahrscheinlich floss irgendeine der zahlreichen warmen Quellen mit in das Brunnenwasser und heizte es auf. Diesen Luxus genossen alle im Hause. Als Gwyn den Kopf hob, um in sein Hemd zu schlüpfen, sah er sie.
    Die Frau des Borden musste ihn schon eine ganze Weile lang beobachtet haben. Sie stand an einem der hohen, schmalen Fenster, den hölzernen Laden einen Spaltbreit offen, und blickte hinunter in den Hof. Gwyn ließ das Hemd wieder sinken und sah zu ihr hinauf. Sie lächelte ihm sanft zu.
    Da war es wieder. Dieses herrlich aufregende Gefühl, immer dann, wenn er sie ansah. Er verehrte die Frau seines Meisters, dies war gewiss. Es war auch

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