Der Goldschmied
einige Male als Kind mit angesehen. Er wusste um die ganze Prozedur. Mit einer eisernen Stange hieb der Henker dem Verurteilten auf Arme und Beine. Damit brach er dem Unglücklichen alle Knochen. Der so zerschlagene Leib wurde dann auf ein großes Wagenrad gebunden und auf einem Gerüst der Menge gezeigt. Ein solch elendes Sterben dauerte manchmal tagelang. Konnte es sich ein Delinquent leisten, bestachen er oder seine Familie den Henker und dessen Knechte. Dann bekam der Verurteilte ein Tränklein aus grauem Pulver. So spürte er die furchtbaren Schmerzen nicht. Fachmännisch wollte der Henker von London zu Werke gehen. Er würde sich nicht nachsagen lassen, sein Handwerk nicht zu verstehen. Auch die Sorge um das Entgelt, das ihm entgehen würde, sprach der Mann an. An diesem Tag versetzte Gwyn sein liebstes Stück, die Brosche, die ihm einst sein Meister Peter Fallen geschenkt hatte. Er erhielt dafür drei Pfund. Dies entsprach dem Gegenwert eines sehr guten Reitpferdes nebst Sattel und Geschirr.
Genau diese Summe bot Gwyn dem Henker von London.
Er traf den Henker am Abend vor der Hinrichtung auf dem Richtplatz, wo der ein halbes Dutzend Knechte mit dem Aufstellen der Gerätschaften für den morgigen Tag beaufsichtigte. Der Mann nahm die angebotene Summe und verbeugte sich.
»Ich hoff doch sehr, Ihr helft meinem Bruder bei seinem … seinem schweren Gang?«, fragte Gwyn leise.
Der Henker nickte bedächtig. »Werd ihm keine Mühe machen, hinüberzukommen. Aber er muss aus diesem Leben. So sagt’s das Gesetz.«
»Tut, was beschlossen ward!«, antwortete Gwyn.
Zwei Knechte mühten sich mit zwei mächtigen Wagenrädern.
»Euer Bruder wird nicht zu leiden haben. Dies versprech ich Euch«, versicherte der Henker.
Er drehte sich um, nachdem er den Beutel mit den Münzen eingesteckt hatte, und wandte sich der Gruppe Knechte und ihrer Arbeit zu.
Gwyn war müde und erschöpft. Seit zwei Tagen hatte er alles versucht und doch nichts erreicht. Das Urteil stand fest. Daran gab es keinen Zweifel. Der Richter hatte dies bedauert, aber es gab keine Möglichkeit, das Urteil in eine mildere Strafe umzuwandeln.
Nun wollte er noch einmal zu Sid. Aber der wollte ihn nicht mehr sehen. Er gebärdete sich in der Zelle wie toll, schrie die schlimmsten Verwünschungen und verfluchte ihn. Die Wächter gossen dem Tobenden so lange kaltes Wasser über den Kopf, bis er schwieg. An diesem Abend war Gwyn so verzweifelt, dass er sich in einer nahe gelegenen Taverne betrank. So spürte er nicht mehr, wie er von seiner Bank fiel und auf dem Boden liegen blieb, bis ihn der Wirt vor die Tür schleifen ließ. Dort blieb er am Straßenrand liegen, betrunken. Als er erwachte, war es längst Mittag. Sein Kopf schmerzte ihn, und er sah, dass er im Schmutz lag. Er erhob sich und machte sich auf den Weg zum Tower. Der Wachtposten war ungehalten und wollte nicht mit ihm sprechen. Gwyn hatte auch kein Geld mehr, um ihn noch einmal zu bestechen. Aber er wollte wissen, ob die Hinrichtungen schon vorüber seien. Der Posten schüttelte nur den Kopf.
»Ging schnell, viel zu schnell«, knurrte er.
»Mein Bruder … ist er …?«
»Euer Bruder? Längst tot ist er! Der Teufel selbst hat seine Seele als Erster geholt. Nun schmort er im Höllenfeuer auf ewig …«
»Halt’s Maul, Kerl, sei still …«, fuhr Gwyn den Mann an.
Der Wächter schwieg und sah nur das verzweifelte, traurige Gesicht des jungen Mannes. Das rührte ihn, und es regte sich so etwas wie Mitleid.
»Bei allem, was Euch heilig ist. Versprecht, zu niemandem ein Wort von dem, was ich Euch sage …«, flüsterte er plötzlich.
»Ich versprech Euch dies, … aber wenn Ihr was wisst, so sagts mir jetzt«, drängte Gwyn verzweifelt.
»Der Henker war’s, nicht der Leibhaftige, welcher ihn tötete. Ich selbst brachte den Larvenmann heut Nacht in die Zelle.«
Gwyn hatte vor lauter Erregung den Knecht an seiner Brustwehr ergriffen. Der flüsterte weiter. »Er würgte den Mann, den Ihr Euren Bruder nanntet, bis kein Leben mehr in ihm. Garl beschwerte seinen Leib mit Steinen und warf ihn in die Themse.«
»In die Themse …«, murmelte Gwyn fast tonlos.
»Todesdelinquenten ist geweihter Boden verwehrt.«
Der Mann sagte es leise und fast entschuldigend, als müsse er sich für diesen Brauch bei Gwyn besonders entschuldigen. Gwyn starrte den Wächter vor sich an, eine ganze Weile. Dann ließ er ihn los, drehte sich um und schritt die Gasse hinunter, ohne sich noch einmal umzusehen.
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