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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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Kathedrale von Bath ihren Platz finden sollten. Erst wenn das Gotteshaus durch eine feierliche Messe geweiht war, sollten beide Leuchter ihren endgültigen Platz finden. Das war immer der Wunsch des Borden gewesen. So lange brannten die zwei Kerzen in dem kahlen Raum, und Gwyn selbst entzündete sie jeden Tag.
    ***
    »Ich hole Euch ein Tuch, Mylady«, entgegnete John, der Lehrjunge. Er sagte es in einem galanten Ton, welcher dem Respekt und der Verehrung entsprach, die dieser Junge der Frau des Meisters gegenüber hegte. Er verehrte die Witwe des Borden sehr. Wie alle Angehörigen des Hauses, wie auch alle, die in diesem Hause aus und ein gingen. Jeder nannte sie ab jetzt nur mit dem Namen des neuen Meisters: Lady Agnes Carlisle.
    Gwyn befahl John zu bleiben, und er erhob sich selbst.
    »Lass gut sein, ich gehe selbst.«
    Der Junge nickte gehorsam und ließ den Meister gewähren. Die Arbeit in der Werkstatt ruhte ein wenig, denn es war die Zeit für jene Pause, die bereits zu Lebzeiten des seligen Randolph Borden Tradition in diesem Hause war. So stieg Gwyn hinauf in die Schlafkammer seiner Frau. Er musste sich in dem anheimelnden, schönen Raum erst eine Weile umsehen, bis er das wollene Umhängetuch seiner Frau entdeckte. Als er danach griff, hing ein Eck des Tuches irgendwo fest. Gwyn wollte nicht weiterziehen, war doch die Gefahr groß, dass sich der prächtig gewebte Stoff irgendwo verheddert hatte und so beschädigt wurde.
    Das Tuch klemmte mit einem Zipfel im Deckel einer Truhe. Der Deckel war wohl eilig zugeklappt worden, und dabei war der eingeklemmte Stoff nicht bemerkt worden. Was sollte er tun? Ein anderes Schultertuch war nicht zu sehen, und Gwyn hatte auch keine große Lust, jetzt nach einem solchen zu suchen. Es war noch sehr viel zu tun. Rascher denn je wollte er mit seiner Arbeit in der Werkstatt fertig werden. So versuchte er, die Truhe zu öffnen, doch das kunstvoll gefertigte Schloss hinderte ihn. Aber Gwyn Carlisle war Goldschmied, und seine Fähigkeit, auch komplizierte Funktionen bereits in Gedanken nachvollziehen zu können, kam ihm hier wieder einmal hilfreich zustatten.
    Doch dies war gar nicht vonnöten, fiel ihm ein. Er wusste, wo seine Frau die Schlüssel verwahrte. Er schätzte dies Wissen als kein besonderes Geheimnis, denn ihr größtes Geheimnis trug sie unter dem Herzen, und davon wusste nur er genau. Er war sich keinen Moment lang unsicher, etwas zu tun, was seiner Frau nicht gefiel. So griff er in einen unscheinbaren Beutel, in dem sich eine Reihe Schlüssel befanden. Jeder lang wie eine Hand, schwer und kunstvoll geschmiedet. Mit einem dieser Schlüssel konnte er die Truhe ohne Mühe öffnen und das warme Schultertuch an sich nehmen. Als er den Deckel jedoch wieder schließen wollte, fiel ihm dort eine Reihe an kleinen Dosen und Fläschchen auf, welche in der Kiste verwahrt waren. Er wunderte sich ein wenig. Agnes liebte feine Gerüche und Duftwässer und gab für diese Leidenschaft durchaus ein schönes Stück Geld aus. Aber sie liebte es genauso, die große Anzahl an Behältnissen, all die kleinen Dosen und Schatullen, die Tiegel und winzigen Schachteln, die Flaschen mit all den seltsamen und wunderlich duftenden Essenzen in ihrem Schlafgemach aufzureihen, schon um sich immerzu daraus bedienen zu können. Er öffnete einige der Dosen. Alle waren leer, und nur zwei der Dosen enthielten winzige Spuren von einst duftenden oder gesund machenden Salben. Er schnupperte daran und erhaschte noch den feinen Geruch von Tannen und Thymian. Eine weitere Dose, aus schwarzem Holz ganz glatt gedreht, interessierte ihn jedoch besonders. Das kam daher, weil dieses Behältnis, so klein es war, über ein ungewöhnlich hohes Gewicht verfügte. Wie alle Faber hatte auch Gwyn ein fast natürliches Gespür für das Gewicht eines Gegenstandes, und so rätselte er einen Moment lang, was der Inhalt dieser Dose sein konnte, der so ungewöhnlich schwer war. Er kniete nun neben der offenen Truhe nieder und öffnete den Deckel der schwarzen Dose. Sie war bis zur Hälfte hin gefüllt mit einem grauen feinen Staub. Die Beschaffenheit ähnelte dem eines Puders. Gwyn schnupperte daran. Der Geruch verwirrte ihn, denn es roch stark nach Rosenwasser. Dieser angenehm blumige Duft wollte so gar nicht zu dem grauen pulvrigen Inhalt passen. Er nahm eine Prise davon und verrieb sie langsam zwischen den Fingern. Und auf einmal wusste er, was es war. Gwyn hörte Agnes nicht, wie sie, wohl weil er ewig nicht zurückkam,

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