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Der Goldschmied

Der Goldschmied

Titel: Der Goldschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Mueller
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Sie verfiel in einen Singsang, bei dem sie die letzten beiden Worte immer wiederholte.
    Gwyn streichelte ihren Arm, so als wolle er sie aus einem Tagtraum erwecken. »Aber Mutter, seht her. Ich bin Gwyn, nicht Sid. Ich bin es doch …« Er spürte, wie er ein verzweifeltes Schluchzen kaum noch zurückhalten konnte. Die Nonne trat neben ihn und half ihm auf.
    »Fasst Euch, Gwyn. Kommt, erhebt Euch.«
    Langsam stand er auf.
    »Sie hört Euch nicht, und sie erkennt niemanden mehr.«
    »Wird ihr Geist sie wiederfinden?«, fragte Gwyn mühsam beherrscht.
    »Nein, mein Sohn. Kein Mensch vermag sie von dort zu holen, wohin sich ihre Gedanken geflüchtet. Aber sie muss nicht leiden. Vielleicht tröstet Euch dies?«
    Gwyn schüttelte den Kopf und spürte nur, wie ihm jetzt warme Tränen über sein Gesicht liefen. Die Nonne nahm ihn sanft an der Hand und führte ihn hinaus. Stumm gingen sie beide den Kreuzgang zurück bis zum Portal des Hospizes.
    »Gottes Wege sind oft verschlungen. Es liegt nicht in unserer Macht, sie alle zu verstehen. Aber seid beruhigt. Wir werden sie pflegen, wie es unsere Christenpflicht gebietet«, sagte die Nonne sanft.
    Gwyn nickte stumm und gab ihr einen ledernen Beutel. Es waren zehn Schillinge zur Pflege und zur Kost für Eyleen.
    »Gott auf all Euren Wegen, Master Carlisle. Wenn Ihr sie wieder sehen wollt, so besucht sie morgen. Sie ist jetzt müde und wird bald schlafen.«
    Zum Abschied küsste er der Nonne die Hand.
    Als Gwyn das Kloster verließ, regnete es noch immer in Strömen. Aber er bemerkte es gar nicht.
    Den ganzen Abend lang quälte er sich mit Gedanken. Zu kurze Momente, die er seiner Mutter, seiner Familie gewidmet hatte. Er hatte nicht vergessen, was er ihr verdankte. In diese Gedanken versunken, schritt er durch den strömenden Regen zum Blutturm, hinunter an die Themse. Er würde Sid besuchen. Und er würde um Aufschub bitten. Das Gericht musste ihn anhören. Jeder freie Bürger hatte dieses englische Recht.
    Der festungsartige Turm stand wie ein riesiger, dunkler Felsen direkt am Fluss. In der grauen Abenddämmerung wirkte er unheimlich und düster. Das Eingangstor erschien ihm auf einmal wie ein bedrohlich aufgerissenes Maul. Aus der Dunkelheit trat ein Wächter. »Was wollt Ihr hier!?«, bellte er unfreundlich.
    Gwyn stand vor ihm in eher erbärmlichem Aussehen. Er war nass bis auf die Haut und zitterte vor Kälte.
    »Ich bin Gwyn Carlisle. Ich will zu Sidney Carlisle, meinem Bruder.«
    Der Wächter schüttelte den Kopf. »Einlass ist nicht erlaubt. So sprichts der Rat.«
    Gwyn fror, und die Aussicht, umsonst gekommen zu sein, ließ seinen Magen schmerzen. »Besinnt Euch, Mann. Es ist von großer Wichtigkeit für mich. Er ist mein Bruder …«
    Der Wächter leuchtete ihm mit einem Licht ins Gesicht. Dann kratzte er sich am Kopf, wobei er seinen Spieß umständlich in die Armbeuge legte. Als er damit fertig war, schob er seinen Helm wieder gerade und drehte den Kopf in Richtung des finsteren Ganges.
    »Garl, du alter Säufer, komm her!«, rief er laut. Ein weiterer Wächter trat aus dem finsteren Eingang. Der erste deutete auf Gwyn. »Er sagt, er wäre der Bruder von dem Mörder aus dem Turm. Will zu ihm.«
    Im Fackelschein musterte ihn auch der andere Wächter lange und eingehend. »Es ist untersagt, ja streng untersagt, die Todesdelinquenten zu sehen. Besonders des Nachts. Ausnahmen sind natürlich möglich, …«
    Der Sprecher hatte zu grinsen begonnen, und Gwyn sah, dass der Mann kaum noch Zähne in seinem Mund hatte.
    »… dies wird Euch aber zu Kosten gehen.«
    Gwyn beeilte sich, jedem der Männer einen ganzen Schilling zu versprechen. Damit waren beide einverstanden. Gwyn gab dem Mann als Anzahlung eine Münze.
    Derjenige von den beiden, welcher sich Garl nannte, hatte dem Torwächter die Fackel aus der Hand genommen. Damit schritt er los. Gwyn folgte ihm. Sie traten in den dunklen Turm. Gleich am Eingang schritten sie durch einen Gang, gerade so hoch, dass ein Mann darin noch aufrecht gehen konnte. Gwyn, etwas größer als der Wächter, musste den Kopf beugen. Von der Decke tropfte das Wasser. Statt hinauf führte der Weg immer mehr in die Tiefe. Bald war der Boden mit Wasser überflutet. Es war eiskalt, und Gwyn watete hinter dem Licht des Fackelträgers her. Das eisige Wasser schmerzte und ließ seine Füße im Nu ohne Gefühl werden.
    Es schien ihm, als sei er eine kleine Ewigkeit gelaufen. Zudem roch er einen fauligen Gestank nach brackigem Wasser. Vor einer

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