Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo
erwärmt sich seine Muskulatur, wird sein Gewebe geschmeidiger, finden seine Arme und Beine zu gewohnter Kraft. Zufrieden registriert Kabirizi, wie die Vegetation seinem Körper weicht. Blätter, Zweige, Äste beugen sich ihm. Nur das laute Rascheln und Rauschen, das sein Marsch verursacht, umgibt ihn und hindert ihn daran, mit seinen Ohren weiter ins Unterholz zu lauschen, als er sehen kann. Immer wieder stoppt der Gorilla und achtet sorgsam auf vertraute Laute. Lange hört er nichts, lange findet er keine Spur der anderen. Kabirizi ist jedoch weit davon entfernt, sich von der erfolglosen Suche zermürben zu lassen. In seinem Bauch regt sich Hunger, sein Magen verlangt nach Verdaubarem. Einige Bam bussprossen verleiten den Silberrücken zu einem Imbiss.
Kabirizi schält gerade einen der Triebe, um an das gehaltvolle Mark zu gelangen, da bricht aus einem Gebüsch ein schwarzer Körper. Nsekuye steht vor ihm. Unterwürfig nähert sie sich dem Familienoberhaupt. Eine wohlige Zufriedenheit durchströmt den Gorillamann. Wo Nsekuye ist, da werden die anderen auch nicht weit sein. Sie wird die Gruppe zusammengehalten haben, während er die nächtlichen Angreifer verfolgte. Und richtig, da drüben purzelt auch schon Jeshi aus einem Strauch. Dort raschelt Janja, und über ihren Köpfen klettert Kayenga durch die Bäume. Immer mehr Gorillas tauchen aus der dichten Vegetation auf. Beinahe alle machen Kabirizi ihre Aufwartung. Manche zeigen sich ihrem Patron nur kurz. Andere, Vertrautere, im Rang höher Stehende, verweilen an seiner Seite. Die jüngsten Gorillas dürfen sogar mit dem Fell des Silberrückens spielen. Umringt von seiner Sippe erstarkt in Kabirizi die alte Gewissheit. Er ist ein mächtiger Gorilla, er ist der Mittelpunkt der Familie und damit seiner ganzen Welt.
Der Anführer nimmt die Huldigungen seiner Sippe mit Genugtuung entgegen. Aber etwas fehlt. Nsekuye hat ihn begrüßt, Janja auch. Der kleine Ruzuzi hat ihn neckisch am Fell gezupft. Mafuko hat sich an seine Arme geschmiegt. Selbst Jeshi hat darauf verzichtet, Matsch zu verteilen, und sich ihm bedächtig präsentiert. Weibchen wie Mapendo, Maheshe, Mivumbi und die meisten anderen heißen ihn willkommen. Doch wo bleibt Rubiga? Kabirizi vermisst ihre Nähe, ihr abgeklärtes Wesen. Sein bevorzugtes Weibchen wäre doch normalerweise eine der Ersten gewesen, die er hätte sehen müssen. Hat sie sich aus Schreck und aus Sorge um ihre zarte Tochter Ndakasi tiefer in den Wald geflüchtet? Alle Begrüßungsrituale seiner Sippe beruhigen Kabirizi nun nicht mehr. Das Fehlen Rubigas irritiert ihn. Je mehr Gorillas er trifft, desto unruhiger wird er. Ihre Begrüßungen stimmen ihn fast ungehalten. Rastlos läuft er durch das Unterholz, untersucht Büsche, schnuppert an abgebrochenen Zweigen, schaut an Baumstämmen hoch. Doch nirgends findet sich eine Spur von Rubiga und Ndakasi. Wieder ruft er nach ihr mit einem bellenden Laut. Doch seine anfangs noch bestimmte, mit fortschreitender Zeit aber immer mutloser klingende Stimme verhallt ohne Antwort. So sehr die anderen sich bemühen, ihn zu beschwichtigen, er will sich kaum beruhigen. Fortwährend durchstöbert er die Umgebung, lange Stunden sitzt er im Schatten der Bäume und ruft. Versonnen blickt er in den Pausen auf seine mächtigen Hände.
Kabirizi hat bereits erlebt, dass Gorillas verschwinden. Er hat es erlebt, als ihn sein Vater aus seiner Familie vertrieb. Plötzlich waren alle anderen weg, die Mutter, die Geschwister, die Onkel und Tanten. Er hat auch erlebt, dass sich eines seiner Weibchen einem anderen Silberrücken angeschlossen hat. Dieses traf er dann meist nicht wieder. Er hat ebenfalls gesehen, wie Gorillababys auf die Welt gekommen sind und sich nicht gerührt haben. Auch sie verschwanden, nachdem die Mütter die schlaffen Körper eine Zeit lang mit sich herumgeschleppt hatten. Und er hat erlebt, dass sich Gorillas von der Gruppe zurückgezogen haben, wenn sie sich mit einem Arm oder Bein in einer der gefährlichen Drahtschlingen verfangen hatten und ihr Körper nach Tod zu riechen begann. Auch sie tauchten dann nie wieder auf. Kabirizi hat manches Verschwinden eines Gorillas kaum registriert. Manchmal hat ihn der Verlust einer Gefährtin oder eines Gefährten jedoch besonders hart getroffen. Dann fand er lange keine Ruhe, dann suchte er lange nach dem vertrauten Artgenossen, saß beharrlich unter Bäumen und rief nach ihm. Auch diesmal lassen ihn sein Suchen und Rufen kaum zum Fressen kommen. Es wird
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