Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo
ausgezehrt. Ein Wildhüter packt sie in eine kleine Schachtel, die mit Zellstoff gepolstert ist, und deckt sie mit einem Frotteehandtuch zu. Jetzt darf keine Wärme mehr entweichen. Jedes Zehntelgrad weniger kann den Tod bedeuten. Die Parkwächter zünden ein Feuer an, um die Kälte zu vertreiben und um Wasser zu erhitzen. Darin löst sich das Milchpulver, das sie mitgebracht haben, besser. Doch Ndakasi ist zu sehr geschwächt. Der erste Versuch, ihr ein wenig warme Milch mit einem Schwamm einzuflößen, scheitert. Erst als sich ihr Körper etwas erwärmt, kann sie trinken. Wenige Tropfen nur, aber es ist ein Anfang.
Andre Bauma kümmert sich um die Kleine. Der drahtige Ranger und veterinärmedizinisch-technische Assistent wird Ndakasi versorgen. Er wird sich in den kommenden Jahren noch um mehrere Gorillawaisen kümmern. Er mag die Affen sehr und bringt ihnen bei, wie man richtig frisst. Er rauft mit den Heranwachsenden und kennt ihre Vorlieben. Er weiß, wen er wo kitzeln muss, um ein Lachen auf das Gesicht der Gorillakinder zu zaubern. Seine Beziehung zu den ihm Anvertrauten entwickelt sich meist so eng, und er beglei tet ihr Aufwachsen dermaßen liebevoll, dass man beinahe schon von Elternstolz sprechen kann, wenn er von den Waisen erzählt. Dann lächelt er versonnen und freut sich daran, dass sich die Kleinen, trotz ihrer schrecklichen Erlebnisse, prächtig entwickeln.
Vorerst bleibt nur Andre an Ort und Stelle zurück und wacht den ganzen Tag und die ganze Nacht bei Ndakasi. Stunde um Stunde beobachtet er sie und gibt ihr Milch, wenn sie ihren Schlaf unterbricht. Er muss hier ausharren, denn niemand kann ihn jetzt holen. Eine Fahrt in der Nacht wäre zu gefährlich. Die Wege sind zu schlecht, und nie weiß man, wer hinter der nächsten Biegung lauert.
Als am heraufdämmernden Morgen endlich ein Fahrzeug kommt, um Andre und Ndakasi zu holen, ist das Gorillababy etwas kräftiger und öffnet die Augen. Es sieht seinen Pfleger an. Es wird ihm vertrauen, ihm, der ihr Wärme und Milch gegeben hat und sie so sanft während der Nacht behütet hat. Er wird zum Mittelpunkt ihrer Welt werden. Die Ranger holen Andre und seinen Schützling ab und verladen Rubiga, um sie nach Rumangabo zu bringen. Dort werden sie ihren Leichnam begraben. Paulins Männer haben aber am Vortag neben der toten Rubiga und der fast erfrorenen Ndakasi noch mehr entdeckt. Eine Blutspur führt tiefer in den Wald. Sie wissen nicht, ob noch ein weiterer Gorilla getroffen worden ist, aber es ist gut möglich. Kabirizis Verband ist weit verstreut. Die Wildhüter werden versuchen, ihn aufzuspüren. Noch haben sie jedoch keinen der Affen gesehen.
Als Robert von dem nächtlichen Anschlag hört, wirbeln Gedanken und Gefühle in ihm durcheinander. Wut und Trauer, Tatendrang und Verzweiflung. Wer konnte so etwas tun? Und weshalb? Paulin ahnt Roberts inneren Kampf und legt eine Hand auf seine Schulter. Sie werden morgen zu dem Camp fahren und die ganze Sache untersuchen. Sie werden das Gorillababy holen und es Tierärzten zur Beobachtung geben. Morgen. Nicht heute. Dafür ist es schon zu spät.
Robert lenkt sich ab, indem er die Ausrüstung für die morgige Fahrt sorgfältig zusammenstellt. Nahrungsmittel, Wasser, GPS-Empfänger, Kamera, Handy. Die Akkus der Geräte müssen aufgeladen werden. Zum Glück sind die Batterien seiner Wohnanlage gerade voll, denn im Moment fließt wieder mal kein Strom durch das Netz. Am Abend bespricht Robert die Angelegenheit mit seinem Vater am Telefon. Dann legt er sich in sein Bett – am nächsten Morgen werden sie in aller Frühe aufbrechen. Um zwei Uhr nachts klingelt sein Handy erneut. Es ist noch einmal sein Vater. Er hat mit Roberts Mutter gesprochen, und die hat ihn gedrängt, ein zweites Mal anzurufen. Sein Vater hat sich die ganze Sache noch einmal überlegt. Wenn er den Holzkohlehandel organisieren würde und einen Gegner beseitigen wollte, dann würde er genau das machen, was passiert ist. Er bräuchte einen Ort, der abgelegen ist. Er müsste wissen, wann sein Gegner dort auftaucht. Dann könnte er ihm dort mit einer Übermacht auflauern und ihn erledigen. Er rät Robert nicht dazu, am Morgen zu gehen. Er rät ihm auch nicht davon ab. Es ist seine Entscheidung, sagt er und fügt hinzu: »Aber deine Mutter wollte, dass ich dir das sage.« Robert legt auf. Den Rest der Nacht grübelt er, was er tun soll. Im Schein einer Gaslampe sitzt er da, trinkt Tee und überlegt. Wäre es feige, nicht zu gehen? Vernachlässigt
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