Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo
zahlreicher werdenden Fliegen, die ihn und vor allem den Toten umschwirren.
Nach Stunden erhebt sich Ndungutse schwerfällig. Mühsam bewegen sich seine Arme und Beine. Die Augen des Silberrückens wandern unruhig zwischen dem leblosen Bruder und dem Waldboden hin und her. Als erneut Bewegung in seinen Körper kommt, hat der Drang, seine Sippe wiederzusehen, endgültig die Oberhand gewonnen. Jetzt will er sie so schnell wie möglich finden und seinen Platz als Patron wieder einnehmen.
Kabirizi zieht sich unterdessen weit in den Wald zurück. Sein Gegner, wenn auch unterlegen, hat ihn verwundet. Der Biss an seinem rechten Unterschenkel ist nicht die schwerste Verletzung. Viel mehr schmerzen die Stellen, auf die die Fäuste trafen. Sein Rücken fühlt sich an, als ob sich dort ein riesiges Insekt festgesaugt hat und ihn bei jeder Bewegung quälend beißt. Kaum weniger bohrend sind die Schmerzen an zwei Stellen seines Unterleibs, wo heftige Schläge starke Quetschungen verursacht haben.
Die folgenden Tage verkriecht sich Kabirizi im Dickicht. Er bewegt sich nur wenig, denn jede Bewegung löst Schmerzen aus. Er frisst das Grünzeug in seiner Reichweite, döst lange und wartet auf seine Genesung. Er ahnt nicht, dass Ndungutses Bruder gestorben ist. Er weiß aber, dass er seinen Gegner geschlagen, ja gedemütigt hat. Er hat ihn vom Kampfplatz gejagt, obwohl er unvorsichtig gewesen ist und ihm durch seinen eigenen Leichtsinn einen Vorteil beim Angriff verschafft hat. Unabhängig von der Schwere der Verletzungen, die er Ndungutses Bruder zugefügt hat, wird es dieser sicher nicht wagen, Kabirizi die Stirn zu bieten, sollte es zu einem weiteren Treffen kommen. Wenn seine Wunden verheilt sind, dann kann er sich ganz auf den Alphamann konzentrieren, dann kann er Ndungutse herausfordern, ohne sich davor fürchten zu müssen, dass diesem sein Bruder zu Hilfe eilen wird – jedenfalls nicht, wenn es ihm gelingt, den Anführer der Sippe rechtzeitig zu besiegen.
Was Kabirizi nicht wissen kann, während er sich von seinem Kampf erholt: Es wird nie so weit kommen.
Selbst viele Tage nach dem Tod des Bruders hat Ndungutse die Unsicherheit, die ihn seither befallen hat, noch nicht ab gelegt. Schreckhafter als sonst reagiert er auf ungewohnte Ge räusche. Bereits ein knackender Ast oder ein aufgescheuchter Vogel versetzen ihn in Alarmbereitschaft. Sein Kampfeswille entzündet sich an Kleinigkeiten. Auch gegenüber seinen Nachkommen verhält er sich mürrisch und gereizt. Deshalb stört es Ndungutse auch mehr als sonst, als seine Gruppe wieder einmal auf jene merkwürdigen Wesen trifft, die er schon lange kennt und die sich ihm und seiner Sippe für gewöhnlich mit eigenartigen Geräuschen nähern. Er duldet sie, er nimmt sie hin. Von ihnen droht seiner Familie keine Gefahr.
Diesmal kommen sie allerdings ohne die Geräusche und es sind mehr als sonst. Sie bewegen sich leise durch den Wald, aufrecht gehend, so wie ein Gorilla nur kurze Strecken zurücklegen kann. Sie bewegen sich verdächtig leise. So leise schleicht nur jemand, der Ungutes im Schilde führt. Nur hier und da hört man einen Zweig unter ihren Stiefeln knacken oder ein paar geflüsterte Worte. Sie wirken nervös und blicken häufig in eine bestimmte Richtung, versuchen, zwischen den dicht stehenden Bäumen etwas zu erspähen. Ihre offensichtliche Anspannung überträgt sich auf Ndungutse. Die Wesen haben ihn und seine Familie noch nicht bemerkt, zu sehr ist ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes gerichtet. Der Silberrücken und seine Sippe ziehen sich bedächtig zurück. Doch nach kaum 100 Metern treffen sie auf einen weiteren Trupp dieser Wesen. Diese bewegen sich in ebenso merkwürdiger Weise voran, wie die anderen, von denen sie gerade gestört wurden. Ndungutse versucht, seine Gruppe in eine neue Richtung zu leiten, da bricht ein Höllenspektakel über ihn und seine Familie herein. Die Wesen brüllen wild durcheinander. Aus Stöcken, die sie in ihren Händen halten, zucken Blitze, donnert in kurzem Stakkato markerschütterndes Knallen. Holz splittert. Erde spritzt in die Luft.
Ndungutse ist verwirrt. Er fürchtet einen Angriff, will sich dem Aggressor stellen. Der ist aber nirgendwo auszumachen. Überall scheinen Gegner versteckt und schleudern Blitze. Selbst die Bäume und die Erde verwandeln sich in Feinde, indem sie Splitter oder Steine und Erdklumpen auf ihn schleudern. Das macht Ndungutse rasend. Laut schreiend tobt er durch den Wald. Plötzlich steht er vor
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