Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo
Gorillablut künden von dem Kampf der Urwaldgiganten.
Weit vom Schauplatz des Kampfes und der Niederlage seines treuen Gefährten entfernt packt Ndungutse selbst eine quälende Unruhe. Er weiß zwar, dass sich sein Bruder meist am Rand der Gruppe bewegt, dass er jedoch wie vom Erdboden verschluckt bleibt, kommt nie vor. Spätestens wenn die Dunkelheit hereinbricht, sucht er die Geborgenheit in der Sippe und baut sein Schlafnest meist dicht bei den Schlafstätten seiner beiden favorisierten Weibchen. Ndungutse hat dies immer mit Wohlwollen betrachtet, denn in der Nacht sind zwei Beschützer allemal besser als einer. Nicht dass er daran gezweifelt hätte, Angreifer auch alleine von der Gruppe fernhalten zu können, aber die Nähe seines Bruders hat ihm immer zusätzliche Sicherheit verliehen. Unwillig richtet sich Ndungutse sein Lager. Die Nacht verbringt er beinahe schlaflos. Zu angestrengt lauscht er auf ein verdächtiges oder vertrautes Geräusch. Zu sehr fürchtet er, in der Dunkelheit könnte sich ausgerechnet jetzt ein Feind heranschleichen. Zu sehr hofft er, der Bruder möge doch noch auftauchen.
Am nächsten Morgen streift Ndungutse noch früher als gewöhnlich umher. Heute scheucht er allerdings niemanden aus seinem Nest. An diesem Morgen will er nur seinen Bruder finden. In weiten Kreisen umrundet er den Schlafplatz seiner Familie. Immer wieder hält er an, um zu lauschen und mit dumpfen, hustenden Rufen eine Antwort zu fordern. Doch der Bruder bleibt verschwunden. Ndungutses Unruhe wächst von Minute zu Minute. Immer weiter entfernt er sich von seiner Gruppe. Bald ahnt er nur noch, in welche Richtung sich die längst erwachte und zum Tagesgeschäft übergehende Sippe bewegt. In dem Silberrücken ringt das Verlangen, zur Gruppe zurückzukehren und seinen Platz zu behaupten, mit der Verunsicherung, die ihn aufgrund der Abwesenheit des Bruders befallen hat. Unschlüssig setzt er sich. Ohne bewusst darauf zu achten, greift seine Hand nach ein paar Brennnesseltrieben, die neben ihm wachsen. Der derben Haut seiner Finger können die mikroskopisch kleinen Brennhaare der Pflanze schon lange nichts mehr anhaben. Geschickt zerknüllt er die zarten Blätter und schiebt sich das kleine grüne Bällchen in den Mund. Ndungutse mag den leicht bitteren Geschmack. Eine ganze Weile sitzt er so da und schiebt sich Brennnesselbällchen um Brennnesselbällchen in den Mund. Schließlich erhebt er sich. Er will noch einen letzten, weiten Kreis abgehen. Sein Bruder muss doch irgendwo stecken. Mit in vielen Jahren erworbener Routine stapft Ndungutse durch das Gestrüpp. Plötzlich erstarrt er.
Von der Seite weht ihn ein Geruch an, der vertraut und gleichzeitig gefährlich wirkt. Der Silberrücken lauscht. Nichts deutet auf etwas Ungewöhnliches oder gar Gefährliches hin. Und doch ist da diese Witterung. Vorsichtig bewegt sich Ndungutse in die Richtung, aus der er das Signal empfängt. Es wird stärker und stärker. Nach wenigen Metern erkennt er einen großen, dunklen Körper, von dem ihm jener verwirrende Geruch in die Nase steigt. Dort schwirren auch Unmengen Insekten in der Sonne, deren Strahlen durch die Büsche fallen. Ohne Hast nähert sich Ndungutse dem dunklen Körper, der auf dem Boden liegt. Der vertraute Duft stammt von seinem Bruder, so viel hat er bereits erkannt. Doch das düster Drohende, das ihm ebenfalls entgegenweht, hat er noch nicht entschlüsselt. Als er sich endlich seine Bahn durch das Dickicht bricht und direkt neben dem reglosen Körper steht, überlagert der Gestank den vertrauten Duft des Bruders beinahe völlig. Ndungutse kennt diese Ausdünstungen. Ein Körper, aus dem sie emporsteigen, wird sich nie wieder erheben.
Mit seiner Rechten streicht Ndungutse leicht über den Rücken seines toten Bruders. Er versetzt ihm einen kleinen Knuff, als wolle er sagen: »Steh auf, lass uns nach Hause gehen.«
Aber sein Bruder liegt starr und steif im Gebüsch.
Ndungutse verharrt lange bei dem Gefährten, der ihn so viele Jahre begleitet hat. Hin und wieder berührt er ihn mit seiner Hand, aber kein Stups bringt Leben zurück in den Leichnam. Immer wieder spielen seine Hände mit kleinen Zweigen, die sie zu fassen bekommen, wiederholt fährt er mit seinen Fingerspitzen über den Waldboden. Ohne ein Ziel anzuvisieren, fällt sein Blick zwischen die Äste der Büsche und Bäume, die ihn umstehen. Der Gorillamann stört sich nicht an dem Gestank, der hier schwer in der Luft hängt. Er stört sich nicht an den immer
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