Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo
einem der Wesen. Es hält einen jener Stöcke in der Hand, die Blitze spucken. Endlich hat Ndungutse einen greifbaren Feind entdeckt. Mit weit aufgerissenem Maul stürmt er auf den Soldaten zu. Dieser überwindet seinen anfänglichen Schrecken und schickt einen Feuerstoß in Richtung des schwarzen Ungetüms, das da auf ihn zustürmt und ihn – so ist er sich sicher – töten will.
Ndungutse weiß nichts von Rebellen, die aus dem Nachbarland Ruanda in die Demokratische Republik Kongo gekommen sind. Er weiß nicht, dass sie sich illegal in dem Ge biet angesiedelt haben, das auch seinen Lebensraum darstellt. Er weiß nicht, dass die Armee dieses Landes versucht, die fremden Kämpfer wieder zu vertreiben. Er versteht nicht, dass er an jenem Tag zwischen einen Rebellentrupp und eine Armeepatrouille geraten ist. Er kann auch nicht ahnen, dass dies aus reinem Zufall geschehen ist und sich diese Menschen zwar gegenseitig töten wollen, es aber nicht auf die Gorillas abgesehen haben. Er weiß auch nicht, dass der Soldat, den er angreift, sogar zu seinem Schutz abkommandiert worden ist. Ndungutse spürt einen gewaltigen Schlag gegen seine Brust, dann noch einen und noch einen. Die Wucht der Treffer wirft ihn zu Boden. Sein letzter Schrei entfährt seiner Kehle nur noch heiser. Der Silberrücken fühlt den harten Aufprall seines Körpers auf dem Waldboden. Etwas packt ihn, zieht ihn nach unten, weiter, immer weiter, tiefer, in die Erde hinab. Alles wird schwarz und dunkel, und schließlich löst sich auch diese Dunkelheit auf. Ndungutse ist tot.
Mit dem Silberrücken sterben an diesem Tag noch drei weitere Gorillas. Man kann später nicht mehr feststellen, aus wessen Gewehren die tödlichen Kugeln stammen. Weder Soldaten noch Rebellen kommen bei diesem Feuergefecht zu Schaden. Der Soldat, der Ndungutse in seiner Verzweiflung erschossen hat, sitzt neben dem toten Silberrücken und starrt geistesabwesend auf den Boden.
Der Tod Ndungutses bringt Kabirizi noch nicht den endgültigen Triumph, denn noch sind da Buhanga und Karateka, zwei Söhne des Silberrückens. Bei beiden scheinen bereits silbergraue Haare auf Rücken und Bauch durch das schwarze Fell, und sie werden sich sicherlich nicht einfach kampflos ergeben. Buhanga versucht, die Position des Vaters einzunehmen, aber er ist zu unerfahren. Die Weibchen akzeptieren den Emporkömmling nicht, denn alleine seine Abstammung verschafft ihm keinen Vorteil bei ihnen. Die abweisende Haltung der meisten Gruppenmitglieder, ihr Unwillen, sich ihm zu unterwerfen, verunsichern Buhanga. Keift ihn eines der Weibchen an, schüchtert ihn das entweder ein und er zieht sich in den Wald zurück, oder er reagiert mit heftigen Drohgebärden, trommelt sich auf die Brust und wird handgreiflich. Mehr als einmal packt er eines der Weibchen fest an Arm oder Bein und schleppt es hinter sich her. Ein selbstsicherer Familienpatron sieht anders aus. Zu allem Überfluss wittert Karateka die Chance, ebenfalls einen eigenen Harem zu gründen. Provozierend tritt er seinem Bruder gegenüber. Die beiden Gegenspieler schleudern Pflanzen um sich und laufen aufgerichtet und wild gegen ihre Brust trommelnd aneinander vorbei. Ihre Familie beobachtet das immer wiederkehrende Spektakel genau. Noch haben beide eine Eskalation vermieden, noch haben sie keinen Kampf gewagt. Aber die Atmosphäre zwischen ihnen ist von Aggres sion erfüllt. Lange wird es nicht mehr dauern, bis sie mit den Fäusten aufeinander einprügeln und versuchen werden, ihre Zähne in den anderen zu schlagen.
Die Aufregung, die ihre ständigen Konfrontationen in die Gruppe trägt, zerstreut den Trupp weit im Wald. Buhanga hat alle Mühe, die Sippe einigermaßen zusammenzuhalten. Seine Unerfahrenheit und die mangelnde Akzeptanz durch die Familie machen es ihm aber beinahe unmöglich, die Ordnung, die das Leben unter der Herrschaft seines Vaters prägte, wieder herzustellen. So geschieht es eines Morgens, dass sich Karateka umgeben von drei jungen Weibchen wiederfindet. Weit und breit ist kein weiterer Gorilla zu hören oder sehen. Drei Weibchen sind zwar nur ein kleiner Harem, aber besser als keiner. Vorerst wird sich Karateka damit begnügen. Seinem Bruder bleiben nun die täglichen Herausforderungen erspart, und Buhanga gelingt es deshalb immer besser, seine Ambitionen bei der ihm verbliebenen Gruppe durchzusetzen. Die Weibchen beruhigen sich, was den neuen Anführer auch etwas gelassener werden lässt. Er schöpft neuen Mut. Bereits nach
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