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Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo

Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo

Titel: Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Jutzi
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neuneinhalb bis zehn Jahren richtig. Der Kognitionsforschung ist bislang kein Tier bekannt, das eine ähnliche Leis tung vollbringen kann. Die scheinbar simple Unterscheidung zwischen rechts und links ist ein Beleg für das Abstraktionsvermögen und die geistigen Fähigkeiten des Menschen.
    Anders als unten oder oben, vorne oder hinten sind sich die linke und die rechte Seite bei Tieren, die eine gewisse Symmetrie entlang ihrer Körperlängsachse aufweisen, sehr ähnlich – zum Beispiel bei Mensch oder Affe. Die beiden Seiten gleichen sich wie Spiegelbild und Original. Diese beiden sehr ähnlichen Seiten zu unterscheiden, zumal bei anderen Wesen oder Objekten, sie miteinander ins Verhältnis zu setzen und dieses abstrakt zu bewerten, ist also nicht so simpel, wie es zunächst erscheint – und ist ein Beispiel dafür, dass der Mensch tatsächlich ein besonderes Wesen ist. Aber erst das Zusammenspiel von Empathie, also der Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, unserer sozialen Ausrichtung im Zusammenleben und im Lernen, unserer Sprachfä higkeit, unserem Abstraktionsvermögen, unserer Kultur und unserer Technik macht uns schließlich zu dem, was wir sind: Homo sapiens – das vielleicht einzige Wesen, das über sich selbst nachdenkt und sich dabei doch immer ein Rätsel bleiben wird.
    All diese Erkenntnisse verblassen vor Roberts Eindrücken, die er inmitten der Gorillas in sich aufgesogen hat. Er denkt an Kabirizis Ausstrahlung von Kraft und Macht und an die gewaltige Sippe, die er beschützt. Robert lehnt sich grinsend in seinem Klappstuhl zurück. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl erfüllt ihn. Doch gleichzeitig durchfährt ihn schmerzhafte Sorge, denn er kennt die Gefahren, die jeden Einzelnen der Gorillas bedrohen, und er weiß, dass es sogar für so ein prächtiges Tier wie Kabirizi nicht selbstverständlich ist, den nächsten Tag zu erleben.

VIII
    E ine ganze Weile schon sitzt Kabirizi unter den Zweigen eines Busches. Geschickt angelt er immer wieder einen der mit dunkelgrünen Blättern bewachsenen dünnen Äste, bricht ihn ab und fädelt ihn zwischen seinen Zähnen hindurch. Das Blätterknäuel, das sich dadurch auf einer Seite seines Gebisses bildet, fängt er durch eine ausladende Bewegung seiner Lippen auf, zieht es in seinen Mund und kaut geduldig die zähe Kost. Immer wieder dreht er den Kopf nach den Mitgliedern seiner Gruppe, um nach ihnen zu schauen oder zumindest zu lauschen. Hin und wieder besucht ihn einer seiner Sprösslinge, lehnt sich an ihn und zupft an seinen Haaren. Gelegentlich spielen zwei besonders Vorwitzige Verstecken und nutzen den Leib des Vaters als willkommene Deckung vor den Blicken des Suchenden.
    Kabirizi mag es, wenn seine Nachkommen in der Nähe sind. Sie stören ihn nicht. Ihre Anwesenheit beruhigt ihn, sind sie doch der lebende Beweis seiner Stellung. Lange hört der Silberrücken nichts Ungewöhnliches, nur das Rascheln und Schmatzen des Gorillatrupps. Kein Tumult zeigt einen Zwist zwischen zwei Gruppenmitgliedern an, kein aufgeregtes Poltern eine Flucht vor einer möglichen Gefahr. Doch plötzlich spürt Kabirizi, dass etwas anders ist. Noch ehe er erkennen kann, was es ist, spürt er eine merkwürdige Spannung in der Luft. Seine unaufhörlich mahlenden Kiefer halten inne. Er dreht seinen gewaltigen Schädel hin und her und versucht, etwas Verdächtiges zwischen dem Blättergewirr zu entdecken. In seine Nase dringt jedoch kein bedrohlicher Geruch. Kabirizi ist verunsichert. Er schnaubt, so als ob ihm etwas Unwillkommenes, Beißendes in die Nase gefahren wäre. Dann lauscht er wieder. Jetzt erfasst er, was ihn beunruhigt. Er hört nichts, und genau das ist das Ungewöhn liche. Seine Sippe hat jegliches Rascheln, Schmatzen oder Knicken von Ästen eingestellt. Keines der Jungtiere tobt ausgelassen mit seinen Altersgenossen. Es ist verdächtig, ja bedrohlich ruhig. Kabirizi wuchtet seinen Körper aus dem Dickicht, in dem er so gemütlich gesessen und gefressen hat. Grimmig schaut er vor sich auf den Boden, wie um zu überlegen, ob sich die Anstrengung überhaupt lohnt, jetzt nach dem Rechten zu sehen. Wie er dasteht, verströmt er die Unwilligkeit eines verschlafenen Bahnwärters, der zweimal am Tag eine Schranke zu bedienen hat und sich gezwungen sieht, die erste offizielle Amtshandlung seines Dienstes auszuführen. Kabirizi lauscht erneut. Die vage Hoffnung, das Ungewöhnliche könnte sich verflüchtigen und seine Sippe würde wieder die vertrauten Geräusche

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