Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo
einer Mahlzeit erzeugen, wird enttäuscht. Schwer lastet Kabirizis Oberkörper auf seinen Vorderarmen. Trotz der derben Haut der wulstigen Finger spürt er den Gegendruck der Erde in seinen Knöcheln.
Ein Steinchen hat sich genau in eine Hautfalte seines linken Mittelfingers gestohlen. Ein kurzer, dumpfer Schmerz fährt in Kabirizis Hand. Er blickt nach unten, während er seine Pranke kurz anhebt und sie nur wenige Zentimeter daneben wieder aufsetzt. Dann hebt er erneut seinen Kopf. Sein Körper spannt sich. Der kleine Stein hat alle Trägheit aus den Gliedern des massigen Körpers verscheucht. Entschlossen stapft der Gorillamann nun durch das Unterholz. Jetzt will er wissen, was da los ist.
Er kommt an Mafuko vorbei. Die Halbwüchsige kauert unter einem Busch und sieht ängstlich in Kabirizis Richtung. Ihr Blick hat nichts Entschuldigendes, vielmehr flehen ihre Augen: »Beschütze mich!« Etwas weiter vorne sitzt Rubiga. Sie kehrt Kabirizi den Rücken zu und blickt wie gebannt nach vorne. Der Silberrücken passiert auch sie und stößt auf Bageni. Der posiert breitbeinig auf einem schmalen Trampelpfad, der sich durch das Unterholz windet. Straßen sind keineswegs eine Erfindung des Menschen. Auch Tiere wissen den Komfort eines planierten Weges zu schätzen. Er bietet nicht nur den Vorteil, leichter voranzukommen. Vielmehr dürfte es dort, so das evolutionäre Kalkül, wo schon Generationen von Vorfahren gegangen sind, auch heute noch einigermaßen sicher sein. Denn da, wo ständig Gefahr lauert, geht niemand entlang. Und wo niemand entlanggeht, entsteht auch kein Trampelpfad.
Weltweit schätzen Tiere diese eingeebneten Wege, und die Bewohner des Regenwaldes machen da keine Ausnahme. Wenn möglich machen sie es sich einfach und nutzen die freie Bahn. So kommen Pfade zustande, auf denen schon ungezählte Antilopen oder Büffel durch den Wald gewandert sind. Auch Gorillas nutzen diese Wege gerne, selbst wenn sie den Nachteil mit sich bringen, dass eben jene Tiere, die die Pfade hauptsächlich erzeugt haben, genau zum selben Zeitpunkt darauf auftauchen.
Bageni steht steif auf dem Pfad und sieht starr in eine Richtung. Kabirizi folgt seinem Blick. Einige Meter weiter vorne nimmt er eine dunkle Gestalt wahr. Es muss ein großer Körper sein, der da den Weg versperrt. Auf seinem Fell wechselt sich das Sonnenlicht mit den Schatten der Blätter ab, die in einem lauen Lüftchen hin und her schaukeln. Die Umrisse des Körpers sind nicht klar zu erkennen. Kabirizi schaut angestrengt. Er kann nicht genau feststellen, wer ihm da gegenübersteht. Das verunsichert und ärgert ihn. Zielstrebig schiebt er sich an Bageni vorbei. Der Schwarzrücken macht einen kleinen Schritt zur Seite. Er ist froh, dass nun Kabirizi, der Silberrücken, vor ihm steht und sich der Konfrontation mit dem Unbekannten stellt. Er beobachtet den Alphamann genau. Jetzt wird er wieder etwas lernen.
Kabirizi baut sich zwei, drei Schritte von Bageni entfernt auf, nicht frontal, sondern leicht abgewandt. Dabei finden seine Hände und Füße guten Halt auf der festgetretenen Erde des Pfades. Was hinter ihm ist, kümmert ihn nicht. Seine gesamte Aufmerksamkeit ist nach vorne gerichtet. Vor ihm befindet sich ein alter Büffelbulle, das hat er nun erkannt. Die Waldbüffel im Osten des Kongos sind nicht ganz so mächtig wie ihre Artgenossen aus der Savanne. Die Wildheit und die Furchtlosigkeit ihrer Verwandten aus dem Grasland pulsieren aber auch durch ihre Adern. Der Wiederkäuer hat längst bemerkt, dass da etwas vor ihm ist. Er sieht es schemenhaft, erahnt es mehr, als dass er ein klares Bild davon hätte. Seine Augen sind nicht besonders gut, und das Kronendach des Waldes schirmt zu viel Sonnenlicht ab, sodass es am Waldboden meist ein wenig dämmrig ist. Aber der Büffel hat es gerochen, scharf, kantig. Er kennt den Geruch und hat gelernt, dass er von diesem nichts zu fürchten hat. Dennoch beunruhigt es ihn, dass ihm diese Witterung hier auf dem Weg entgegenweht. Er schüttelt den Kopf und wippt mit seinen Hörnern auf und ab. Schau her, will er sagen, damit bekommst du es zu tun, wenn du dreist wirst.
Die unvermittelt heftige Bewegung des Büffelkopfes reizt Kabirizis angespannte Glieder zu einer kurzen Entladung. Er zuckt zusammen. Dann fixiert er seinen Gegner wieder. Er kennt Büffel. Sie können gefährlich sein. Einmal hat er gesehen, wie einer der Kolosse einen kleinen Gorilla, der sich ihm unbedacht und verspielt genähert hatte, zuerst
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