Der Gorilla - die letzten schwarzen Riesen im Kongo
Leben kosten.
Robert kauert gehockt, den Blick zur Erde gerichtet. Aus den Augenwinkeln beobachtet er, wie sich der Silberrücken auf die Lichtung schiebt. Der Gorillamann stampft mit der Faust auf den Boden und schnaubt. Man muss kein Affenkenner sein, um zu spüren, dass er verärgert ist. Robert räuspert sich. Kabirizi zögert und blickt unverwandt in die Rich tung des Fremden. Hinter dem Silberrücken scharen sich einige Weibchen zusammen, die wohl auch nervös sind. Eine der Mütter verteilt Knüffe unter ihren Haremsgenos sinnen. Ihr Familienoberhaupt baut sich schützend vor ihnen auf. Jetzt gerät ein Jungtier zwischen Robert und Kabirizi. Auch dieser Kleine tapst noch ungelenk über die Blätter und Ranken. Ein gefährlicher Moment. Sollte der Silberrücken glauben, dass sich sein Nachwuchs in Gefahr befindet, könnte ihn das zu einer unbedachten Tat verleiten. Robert räuspert sich erneut und hofft, dass diese Beschwichtigung genügen wird. Kabirizi hebt seinen großen, dunklen Kopf. Behutsam packt er seinen kleinen Sohn und schiebt ihn sanft, aber bestimmt hinter sich, wo ihn die Mutter gleich in Empfang nimmt.
Robert atmet auf. Augustin zupft ihn am Ärmel. Mit einem Nicken gibt er ihm zu verstehen, dass es Zeit ist, zu gehen. Der Rückweg ist kurzweilig, denn Augustin kann viel über die Gorillas erzählen. Er kennt Kabirizi genau, er mag, wie der Gorillamann seine Familie beschützt. Einmal trug einer der Ranger eine Armbanduhr mit blinkenden Ziffern. Das reizte den Silberrücken. Mit einem Griff streifte er die Uhr vom Handgelenk des Wildhüters und zerbrach sie. Das Blinken erlosch und Kabirizi war zufrieden. Robert hört gerne zu, doch die Begegnung mit den Affen hat ihn so aufgewühlt, dass er nicht besonders aufnahmefähig ist. Erst als er am Abend auf der Terrasse im Garten seines Hauses sitzt, legt sich seine Aufregung.
Mit einer Bierdose in der Hand blickt er zum Himmel, an dem sich einige Wolken dunkel abzeichnen. Sein Blick schweift an der Mauer entlang, die das Grundstück umschließt. Hier und da ranken sich Bougainvilleen empor. In der Dämmerung, die am Äquator rasch herabsinkt – beinahe so, als ob die Sonne wie ein Stein vom Himmel gefallen wäre –, verblassen die sonst leuchtend violetten Blätter. Die meisten Menschen halten sie für Blüten, aber Robert weiß, dass es sich dabei um sogenannte Hochblätter handelt, die die eigentlichen Blüten umstehen. In Botanik war er nie eine Leuchte, aber das hat er sich sonderbarerweise gemerkt. Ein Nachtfalter hat sich auf den Rasen verirrt. Das graue Insekt flattert aufgeregt zwischen den unregelmäßig wachsenden Halmen hin und her. Robert schießt durch den Kopf, dass er in Sachen Rasenpflege die britische Tradition nicht hochhält. Schließlich befreit sich der Falter und fliegt lautlos davon. Robert sieht ihm nach, bis die Dunkelheit ihn verschluckt. Versonnen denkt er über die Erlebnisse des Tages nach. Noch einmal sieht er den kleinen Gorilla vor sich, der ihm so neugierig gefolgt war. Er denkt an die dunklen Augen der Affen und wie es ihn durchfahren hat, als er dem ersten Blick eines Gorillas begegnet ist. In dem Augenblick hat er erkannt, dass ihm da eine Persönlichkeit gegenübergetreten ist. Er hat gespürt, dass er einem Wesen mit einer Absicht und zumindest mit einer Ahnung von sich selbst begegnet ist. Dennoch ist da ein deutlicher Unterschied zum Blick eines Menschen gewesen.
Es ist wieder einmal eine jener Auffälligkeiten, die jeder sofort erkennt, wenn er darauf aufmerksam gemacht wird, die ansonsten aber fast alle übersehen. Bei Gorillas erkennt man, wie bei allen anderen Menschenaffen und bei den meisten Tieren überhaupt, das Weiße im Auge kaum oder gar nicht. Dieses unscheinbare Detail wirft ein überraschendes Schlaglicht auf die Evolution des Homo sapiens . Das Weiße in unseren Augen deutet auf einen entscheidenden Unterschied zwischen Affen und Menschen hin. Wir sind, mehr als jedes Tier, auf bewusste soziale Interaktion ausgerichtet. Das Weiße im Auge lässt uns viel besser erfassen, wohin unser Gegenüber blickt und welche Absichten der andere möglicherweise hegt. Vielleicht war dies ein Baustein, der uns vor Millionen Jahren besser miteinander zusammenarbeiten ließ, beispielsweise bei der Jagd oder dem Auskundschaften einer anderen Sippe. Vielleicht diente das Weiße im Auge aber auch der Beschwichtigung anderer Artgenossen. Der unverhohlene, klare Blick teilte dem anderen mit: »Sieh her, ich schaue
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