Der Gott seiner Vaeter
Bewegung machte, um freizukommen, wurde der unglückliche Seemann fast erwürgt. Jans Rechte war in dem dicken, wolligen Haarbusch des Roten Bill vergraben, und bei alledem lag Taylor, hilflos festgenagelt, auf dem Boden. Es war nicht möglich, mit Jan fertig zu werden, denn der Wahnsinn verlieh ihm Riesenkräfte, aber plötzlich, ohne sichtbare Ursache, ließ Jan seine verschiedenen Gegner los und wälzte sich ruhig auf den Rücken. Zweifelnd und verdutzt zogen sie sich ein wenig zurück. Jan grinste boshaft.
»Meine Freunde«, sagte er, immer noch grinsend, »ihr habt mich gebeten, höflich zu sein, und jetzt bin ich höflich. Was wollt ihr von mir?«
»Das stimmt, Jan – nur ruhig!« sagte der Rote Bill beschwichtigend. »Ich wußte ja, daß du Vernunft annehmen würdest. Bleib jetzt nur ruhig, dann werden wir schon das kleine Kunststück hübsch sauber besorgen.«
»Was für ein Kunststück?«
»Das Hängen. Und du sollst wirklich deinem Gott danken, weil du es mit einem Mann zu tun hast, der seine Sache versteht. Ich habe es mehr als einmal in den Staaten gemacht, und ich weiß Bescheid damit.«
»Mich hängen? Mich?«
»Ja!«
»Ha! Ha! Hört den Mann – was für einen Unsinn er redet! Reich mir deine Hand, Bill, und ich will aufstehen und mich hängen lassen.«
Mit einiger Mühe kam er auf die Beine und sah sich um. »Herr Gott, hört nur den Mann! Er will mich hängen! Ho! Ho! Ho! Ich denke ja nicht daran! Nein, ich denke ja nicht daran!«
»Aber ich, du Lümmel!« sagte Dawson spöttisch, indem er eine Schlittenleine durchschnitt und sie sorgfältig aufrollte. »Heute hat Richter Lynch das Wort.«
»Einen Augenblick!« Jan trat einen Schritt vor der ihm entgegengehaltenen Schlinge zurück. »Ich habe euch etwas zu fragen und euch einen Vorschlag zu machen. Kentucky, du kennst Richter Lynch?«
»Ja, als eine Einrichtung von freien Ehrenmännern, und zwar eine alte und verdiente Einrichtung. Die Obrigkeit ist manchmal käuflich, aber Richter Lynch – auf den kann man sich verlassen, der erweist Gerechtigkeit ohne Bezahlung. Gesetze können gekauft und verkauft werden, aber in diesem aufgeklärten Lande ist die Gerechtigkeit ebenso gratis wie die Luft, die wir einatmen, ebenso stark wie der Alkohol, den wir trinken, ebenso schnell wie – «
»Halt’s Maul! Laß uns hören, was der Bengel will«, unterbrach Lawson den Strom seiner Beredsamkeit.
»Nun ja, Kentucky, so sag mir denn – wenn ein Mann einen andern totschlägt, hängt Richter Lynch dann den Mann?«
»Wenn die Beweise genügen – ja, Verehrtester.«
»Und in diesem Fall genügen die Beweise, um ein Dutzend Männer zu hängen, Jan«, fiel der Rote Bill ihm ins Wort.
»Halt’s Maul, Bill. Mit dir spreche ich hinterher. Jetzt frage ich Kentucky etwas. Und wenn Richter Lynch den Mann nicht hängt, was dann?«
»Wenn Richter Lynch den Mann nicht hängt, dann kann der Mann frei hingehen, wo er will, und seine Hände sind rein, es klebt kein Blut an ihnen. Und noch etwas sagt unsere große, herrliche Verfassung. Nämlich: Kein Mann kann zweimal wegen ein und desselben Verbrechens mit dem Tode bedroht werden – ja, oder so was Ähnliches.«
»Und sie schießen ihn nicht, schlagen ihn mit einer Keule auf den Kopf oder tun sonst was mit ihm?«
»Nein, Verehrtester.«
»Schön! Ihr alle habt gehört, was Kentucky gesagt hat, ihr Idioten? Jetzt spreche ich mit Bill. Du sagst, du verstehst deine Sache, und du hängst mich hübsch sauber, wie? Nicht wahr?«
»Darauf kannst du Gift nehmen, und, Jan, wenn du jetzt Vernunft annimmst, dann soll es so gemacht werden, daß du mächtig stolz darauf bist. Ich bin Kenner.«
»Du bist ein guter Kopf, Bill, und verstehst dich auf vieles – und du weißt, daß zwei und eins drei sind – nicht wahr?«
Bill seufzte.
»Und wenn du zwei Dinge hast, dann hast du nicht drei, nicht wahr? So, jetzt kommst du mit, und ich will dir zeigen, daß drei Dinge dazu gehören, einen Mann zu hängen. Erstens der Mann! Schön! Ich bin der Mann! Zweitens der Strick! Lawson hat den Strick! Schön! Und drittens – müßt ihr etwas haben, um den Strick dran festzubinden. Guckt euch ein bißchen um und findet das dritte Ding, an dem ihr den Strick festmachen wollt! Bitte!«
Ganz mechanisch ließen sie den Blick über das Eis nach der Sonne schweifen. Es war eine einförmige Landschaft, ohne Kontraste und scharfe Konturen, traurig und öde – das Meer mit seinem Packeis, das sanft abfallende Ufer, die niedrigen
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