Der Gott von Tarot
Gesicht. Auch der Schädel bewegte sich. Er öffnete den Mund, und der knochige Kiefer fiel herab. Er zwinkerte mit den Augen, doch konnten natürlich die leeren Augenhöhlen nicht zwinkern, und wenn, wie könnte er es sehen, wenn seine eigenen Augen geschlossen waren?
Die linke Hand fuhr herauf, um das Gesicht zu berühren. Nase und Wangen waren da; festes Fleisch und Haut. Der Schädel war nur ein Bild, keine Realität. Aber was hatte es zu bedeuten?
„Laßt uns nicht herumtrödeln“, sagte Therion. „Der Drache wird nicht den ganzen Tag lang totspielen.“
Bedauernd stand Bruder Paul auf und ging um den Kelch herum. Er war sich sicher, daß der Schädel etwas Wichtiges zu bedeuten hatte. Wenn es Teil des natürlichen Symbolismus der Karte war, warum hatte er es dann nicht früher bemerkt? Wenn nicht, warum tauchte es jetzt auf? Er war dieser Karte viele Male, ehe er zum Planeten Tarot gekommen war, begegnet; war der Schädel immer auf dem Kelch gewesen? Er konnte sich nicht daran erinnern. Da war etwas – etwas Verborgenes und Schreckliches –, aber er hatte einen Auftrag. Vielleicht würde es sich später erklären lassen.
Er ging weiter. Dann merkte er, daß er den Schädel hätte überprüfen können, indem er mit dem einen Auge gezwinkert hätte, um sich mit dem anderen zu beobachten. Seine Gedanken arbeiteten nicht klar, wenn auch sein Kopf ganz frei zu sein schien. Nun, es würde nichts ausmachen, wenn er zurückging, um noch einmal auf den Kelch zu blicken. Wenn er noch dort war.
Er blickte zurück. Der riesige Kelch stand noch dort, und dahinter lag der Körper des Drachens. Er bedauerte, ihn getötet zu haben; das hätte er wirklich nicht tun sollen. Eigentlich war er kein gewalttätiger Mensch. Was war nur über ihn gekommen? Er verspürte einen schlechten Geschmack im Mund sowie beginnenden Kopfschmerz. Sein Magen grollte, als wolle er sich seines Inhalts entledigen. „Ich fühle mich nicht wohl“, sagte er.
„Ein kleiner Kater“, sagte Therion rasch. „Ignoriere es. Das geht vorbei.“
„Kater?“ – Oh, die Reaktion auf das Getränk. Schnell high, schnell wieder down. Das paßte gut!
Nun befanden sie sich schon an den Außengebäuden des Schlosses und stiegen über den steilen Saumpfad hinauf zum Gipfel, auf dem es thronte. Sie kamen rasch voran, denn es war ein sehr schmaler Berg, doch noch rascher ermüdete Bruder Paul. Dann sah er in einer fast vertikalen Felswand einen Einlaß, eine Art Höhle. Und in dieser Höhle stand ein weiterer Kelch. Er war bis zum Rand mit Edelsteinen gefüllt: Perlen, Diamanten und ausgesuchte andere Steine. Wunderschön!
Bruder Paul ging darauf zu, fand sich jedoch unvermittelt zu müde, um den ganzen Weg zu schaffen. Er sah nun auch, daß sich der Kelch in einer Art Käfig mit einem Kombinationsschloß befand. In dem Schloß war ein Bild mit drei aufgereihten Zitronen zu sehen.
„Oh, ein alter Glücksspielautomat“, murmelte er. „Aber ich spiele nicht gerne.“
„Aber sieh dir die potentielle Belohnung an!“ rief Therion. „Du wärest reich – ein Multimillionär in jeder Währung!“
„Reichtum bedeutet mir nichts. Brüder und Schwestern des Ordens widmen ihre Leben den nichtmateriellen Dingen, der Einfachheit und den guten Taten.“
„Aber denk an all die guten Taten, die du damit vollbringen könntest.“
„Ich will nur in das Schloß hinein und die Antwort auf meine Frage finden“, entgegnete Bruder Paul. „Wenn ich doch nur die Kraft hätte, das letzte Stück hinaufzusteigen.“
„Hier, riech einmal daran“, sagte Therion und öffnete ein winziges verziertes silbernes Kästchen.
Bruder Paul sah hinein. In dem Kästchen befand sich ein weißliches Pulver. „Was ist es?“
„Ein Stimulans. Wird seid
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