Der Gott von Tarot
Menschengestalt mit dem Kopf eines Hahns und Beinen einer Schlange, und er ist der Gott der Heilkunde. Anscheinend hält sie dich für einen Gott.“
„Mich?“ rief Bruder Paul entsetzt aus. „Ich ein heidnischer Gott?“
„Abraxas war im römischen Reich ein höchst modischer Gott. Vielleicht sieht sie dich als moderne Inkarnation. Wenn du ihr vielleicht deine Füße zeigst …“
Bruder Paul murmelte eine höchst unheilige Silbe. Aber Therion betrachtete den Torso Amaranths. „Sie ist gewiß ein gesundes, gut ernährtes Exemplar“, bemerkte er, als betrachte er ein Vollblutpferd. „Zu fast allen Zeiten waren die meisten Menschen schlecht ernährt: Erst in den vergangenen Jahrhunderten hat sich ein guter Ernährungsstand verbreitet. Man sieht jedoch nur selten eine so feine Gestalt, auch heute noch.“
Wem wollte er die Figur verkaufen? „Du verehrst wirklich einen heidnischen Gott?“ fragte Bruder Paul die Lady. Irgendwie war ihm die Bedeutung dessen noch nicht klar geworden, oder er hatte es nicht richtig geglaubt, als sie, die Kolonistin, diesen Sachverhalt erwähnte.
„Aber das ist doch eine freie Gesellschaft“, meinte Therion. „Niemand darf nach dem Vertrag irgendein Mitglied einer anderen Religion, was immer ihre Form ist, verfolgen. Das ist das einzige, das auf diesem Planeten einen mörderischen Krieg verhindert. Ich bin sicher, IAO hat ebenso viel Recht hierzusein wie jeder christliche Gott.“
Das Mädchen schlüpfte aus ihrem Gewand und stellte sich vollständig nackt vor sie hin. Ihr Körper war berauschend, nicht nur, weil sie gut ernährt war; an ihr gab es kein Fett, wo es nicht auch hingehörte. Sie trat auf Bruder Paul zu.
Beunruhigt wich er zurück.
„Die alten Priesterinnen führten die Gläubigen mit den direktesten Mitteln zur Vereinigung mit ihren Göttern“, fuhr Therion fort. „Sie will dir helfen, deinen wahren Willen zu entdecken; willst du ihr nicht folgen?“
„Aber das ist nicht die Art von Vereinigung, die ich suche“, protestierte Bruder Paul. „Nicht mit IAO, nicht …“
„Und wenn IAO der Gott von Tarot ist, und du weigerst dich, ihn zu treffen?“
„Unmöglich!“ Aber Bruder Paul merkte auch, daß es nicht unmöglich war. Unwahrscheinlich vielleicht, aber theoretisch durchaus möglich. Das ganze Problem des Planeten Tarot, der Grund, warum er hergekommen war, war doch, objektiv zu bestimmen (wenn es die Umstände erlaubten), welcher Gott die Leitfigur hinter den Animationen war oder ob es kein Gott war. Er mußte seine religiösen Vorurteile aus dem Spiel lassen. Denn – dazu zwang er sich – IAO Abraxas, der Gott der Anbetung, konnte es wirklich sein. Und wenn es I A O nicht war, mußte er diese Tatsache doch genau untersuchen. Die versammelten Religionen des Planeten Tarot warteten auf sein Urteil. Niemand ihrer eigenen Vertreter konnte diese Untersuchung durchführen, weil ein jeder unter ihnen zu sehr dem jeweiligen Gott ergeben war, um noch objektiv bleiben zu können. Jene, die es am aufrichtigsten versucht hatten, waren Anfälle von Glaubenszweifel erlegen, in einigen Fällen mit fatalem Ausgang.
Bruder Paul hatte nicht vor, bei seinem Abenteuer zu sterben. Aber er wollte auch an keiner Weißwäscherei oder Aufwärmung von persönlichen Vorurteilen teilhaben. Die Ethik seines Ordens und sein Stolz verlangten, daß er die Wahrheit suchte. Der Auftrag ging über seine kleinen Skrupel weit hinaus. Er mußte IAO eine faire Chance geben.
„Aber ist es wirklich notwendig …?“ fragte er kläglich mit Blick auf die nackte Priesterin. „Wenn sie eine zeitgenössische Anhängerin von Abraxas ist, läge es in ihrem Interesse, mich davon zu überzeugen, daß ihr Gott der nämliche sei,
Weitere Kostenlose Bücher