Der Gott von Tarot
Lügen für ihn verabscheuenswürdig waren, mußte er sich sofort verbessern. „Ich glaube, ich erkenne diese Frau. Sie …“
„Die Frau existiert, um dem Manne zu dienen“, bemerkte Therion.
Der Mann war also nicht wirklich an der Identität dieser Frau interessiert. Für ihn waren Frauen austauschbar, verhüllt durch seine allgemeine Feindseligkeit ihnen gegenüber. Nun, in diesem Fall spielte Bruder Paul das Spiel mit, denn nach allem, was er von Amaranth wußte, würde sie alle mit einer solchen Meinung gehörig eines Besseren belehren.
Bruder Paul ging auf die Frau zu. „In welcher Weise spiegelst du meinen verborgenen Willen wider?“ fragte er.
Sie löste sich aus dem Kelch und stand vor ihm, eine so schöne Gestalt, wie er sie sich nur vorstellen konnte. „Ich bin die Liebe.“
Liebe. Das war sogar noch mehr, als er erwartet hatte. „Heilige oder profane?“ fragte er vorsichtig. „Ich bin mit einem religiösen Auftrag hier.“
„Er sagt, er liebt Gott und keine Frau“, warf Therion ein.
„Ich liebe Gott und die Frauen“, bellte Bruder Paul zurück. „Aber für meine Mission muß ich …“
Amaranth reckte sich und betonte ihre wundervollen Brüste; Bruder Paul erkannte die Versuchung in anderer Gestalt. Er wußte, daß die Animation ihre Erscheinung nicht noch verbesserte; sie war in jeder Hinsicht so verlockend wie im wirklichen Leben. Eine Frau, die nur in der Animation schön war … aber natürlich sollte die Äußerlichkeit nicht das einzig Anziehende sein.
„Du hast tapfer gekämpft, um in dieses Schloß zu gelangen“, merkte Therion an. „Weist du nun zurück, was es dir bietet?“
„Die Präzession bringt diese Frau; was ich suche, liegt anderswo.“
„Woher weißt du das?“
Unsicher dachte Bruder Paul darüber nach. Er hatte gedacht, er habe die Versuchung überwunden – und es war eine ungeheure Versuchung gewesen! –, aber konnte es sein, daß das Ziel seiner Suche körperliche Liebe war? Es schien kaum wahrscheinlich, aber sicher konnte er auch nicht sein. Es gab zwischen den einzelnen Arten der Liebe tiefe Affinität, auf der höchsten Ebene als Religion ausgedrückt und auf der niedrigsten als Sex. Oft sagte man ‚Gott ist Liebe’. Konnte er die eine Form ohne die andere erreichen?
Er dachte an die säuerlichen Kommentare des Hierophanten. Wie sah es mit seinem Glauben aus? War der Ausdruck körperlicher Liebe notwendigerweise immer schlecht? Die Ansichten des Hierophanten glichen einer Parodie von …
„Der Hierophant!“ rief Bruder Paul aus und wirbelte zu Therion herum. „Du!“
„Du hast es also begriffen“, sagte Therion schnippisch.
„Du hast bewußt die religiöse Haltung zerstört …“
„Zerstört? Das würde ich nicht sagen“, entgegnete Therion. „Ich hatte eine Rolle zu spielen, und daher habe ich sie völlig frei gespielt. Ich habe die Essenz geliefert anstelle bloßer Kasuistik. Die modernen Religionen hassen den Sex und das Vergnügen und versuchen, es zu unterdrücken, weil ein Mann mit steifem Schwanz nicht zu einem Priester gehen würde. Die alten Religionen besaßen viel mehr Grips; sie kannten die andere Seite der göttlichen Liebe, nämlich die körperliche Liebe. Das ist eine vollständig natürliche und notwendige Funktion.“
„Aber nicht außerhalb der Ehe“, erwiderte Bruder Paul, der bei dem Gedanken zitterte, auf welche Weise er geleitet worden war, noch ehe er seinen Führer gewählt hatte.
„ Warum nicht? Was ist denn die Ehe schon, außer einer gesellschaftlichen Zeremonie, die die Besitzrechte eines bestimmten Mannes an einer bestimmten Frau regelt? Kümmert sich Gott vielleicht um die Konventionen der menschlichen Kultur?
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