Der Gott von Tarot
verwirrt bin. Das ist nicht fair!“
Therion blickte auf. „Ich bin zufrieden, weil ich meine wahre Natur kenne“, sagte er. „Ich weiß, was ich bin und wem ich diene. Ich bin im Frieden mit mir selbst. Kein Sieg, Reichtum oder eine Frau kommt dagegen an. ‚Tu, was du willst’ lautet das ganze Gesetz.“
„Dann zeig mir, wie ich meine wahre Natur begreife“, rief Bruder Paul. „Da liegt der Schlüssel zur größten Macht.“
„Du mußt sie in dir selber suchen und dich selber aus dem Gefängnis deiner Sinne befreien“, entgegnete Therion. „Meditation, wie es Yoga befürwortet …“
„Nein! Darauf kann ich nicht warten. Ich will es jetzt!“
„Dann nimm die Abkürzung.“ Therion hielt eine kleine Kapsel hoch. „LSD.“
Bruder Paul schnappte danach und schluckte sie hinunter.
Es war ein Kopfsprung in einen Mahlstrom. Aus allen Richtungen strömte es auf ihn ein und schien ebenso von ihm auszuströmen: Bilder, Geräusche, Gerüche, Aromen und Berührungen. Er sah den Raum. Das Mädchen lag immer noch mit offenem Mund auf dem Flur. Therion kauerte immer noch über ihr. Er sah die Möbel. Den Sonnen fleck vom Fenster. Er hörte den Wind um den Abgrund pfeifen, ein Tier in der Ferne heulen, eine unsichtbare Uhr ticken. Er roch die Ledercouch und das Metall von der Innenseite des großen Kelches, den Staub vom Boden und den schwachen süßlichen Duft einer Blume irgendwo draußen. Er spürte die Überreste der Kapselflüssigkeit, das Streicheln einer sanften Brise über seinen nackten Körper. Ablenkungen, mit denen er fertig werden mußte.
Er zwang seine Wahrnehmung zur Konzentration, schloß alle äußeren Stimuli aus. Nun sah er Licht hinter den Augenlidern, denn sie waren nicht dick genug, um ihm totale Dunkelheit zu gewähren. Er hörte seinen eigenen Atem und Herzschlag. Er roch seinen Atem mit einem Hauch Whiskey dabei. Whiskey? Oh, von diesem ersten Schluck bei der Versuchung. Seine Zunge schmeckte leicht bitter. Er fühlte die Spannung seiner Muskeln, die sich verkrampften, um ihn aufrecht zu halten.
Es gab übrigens mehr als nur fünf Sinne, doch die meisten namenlosen konnte man unter ‚Berührung’ subsumieren: unbehagliches Gefühl, Muskelspannung, Orientierung. Ablenkungen.
Er setzte sich auf den Boden und nahm die Stellung mit gekreuzten Beinen ein, die am besten für Meditation geeignet ist. Ganz bewußt entspannte er sich. Allmählich verflog die Körperspannung und gab seine Gedanken frei.
Es war, als flöge er in niedriger Höhe über eine Landschaft auf den Sonnenuntergang zu. Seine halbgeordneten Gedanken flogen vorbei wie Wolken in Technicolor, einige formlos, andere wunderschön, einige bedrohlich. Unter ihm lag das Schloß mit der Priesterin wie einem Dornröschen darin, das auf den Kuß wartet, der ihr das Bewußtsein zurückbringen soll. Nur, daß es eine Reinigung bedeutete. Es war wirklich der Sexualakt, der sie zum Aufstehen bringen würde, der ihr Leben wieder erwecken würde. Allerdings konnte man das Kindern nicht erzählen (warum zum Teufel eigentlich nicht?), und in diesem Fall hatte sie der Akt statt dessen zum Schlafen gebracht. Priesterin des Abraxas? Was war eine solche Tempelverehrung anderes als ritualisierte Prostitution? Prostitution, der älteste Beruf der Frau. Er würde so lange existieren, solange Männer Geld und einen Trieb hatten und die Frau beides nicht. Welche Ironie, daß er mit der Religion verbunden wurde. Doch die Religion hegte eine ebenso große Affinität zu den Lastern der Menschen wie viele andere Institutionen.
Die Droge intensivierte alles und verschaffte ihm eine phänomenale visuelle, auditive und taktile Erfahrung. Der
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