Der Gott von Tarot
achtundsiebzig Karten-Basis aufbauen. Aber selbst in einem verdeckten Spiel wie diesem, wo die Reihenfolge der Karten nicht bekannt war, war er immer noch gut, weil jede gespielte Karte in seinem Gedächtnis abgestrichen wurde und er besser wußte, was noch ausstand. Bei Blackjack wurde so sein Spiel gegen Ende hin genauer, während das bei anderen Personen genau umgekehrt lief.
Aber nun befand sich Paul in Schwierigkeiten. Langsam schwand das Mnem aus seinem Körper, so daß er kein eidetisches Gedächtnis mehr besaß. Er war immer noch ein guter Spieler und seit langem vertraut mit den Strategien für passende Farben und Zahlen in potentiellen Ketten, so daß er seine Wahlmöglichkeiten vergrößerte, ohne dem Gegner seine Position bekanntzugeben, doch er hatte nie gemerkt, wie sehr er von seinem perfekten Gedächtnis abhängig war. Ohne es fühlte er sich nackt – und das beunruhigte ihn weit mehr als es eigentlich hätte sollen. Er hatte fast vergessen, wie man sich als Verlierer fühlte, und die Vorstellung, auf diesen Status zurückzufallen, erschien ihm nicht verlockend. In einer starken Periode als Ergebnis von Pausen einmal zu verlieren war das eine – aus Schwäche verlieren schon etwas anderes. Und das hatte den anderen Mann so angetrieben.
Sollte er zum Mnem zurückkehren? Das blieb ihm immer noch offen. Er wäre kaum der erste – auch nicht der zehnte oder hundertste –, der versuchte, von Mnem freizukommen und scheiterte.
Die Sucht war subtiler als bei Drogen, von denen man psychisch abhängig war. Einige Experten weigerten sich immer noch, Mnem überhaupt als suchterzeugend einzustufen. Aber das waren Narren im Elfenbeinturm. Sucht war mehr als nur körperliche Abhängigkeit, was Kokainschnupfern wohlbekannt war. Die gesamte Selbstwahrnehmung einer Person war im Spiel; wenn er sein Gedächtnis verlor, verlor er auch seine Persönlichkeit. Das war Schwester Beths Untergang gewesen. Paul konnte also seinen Irrtum zugeben und zurückgehen und …
Nein! Das war seine Strafe, weil er dieses unschuldige Mädchen getötet hatte. Vielleicht war es unvernünftig, aber es war endgültig. Er würde entweder als freier Mensch leben oder sterben – wie auch sie hatte frei sein wollen.
In der Zwischenzeit spielte er. Kelch-Sieben auf Kelch-Fünf; Stab-Fünf auf Turm-Trumpf – oh, vertan! Er hätte die beiden Fünfen verbinden sollen – nein, in diesem Fall spielte es keine Rolle. Aber hätte wenigstens an die Fünfen denken sollen, ehe er eine andere Wahl traf. Von solchen Entscheidungen hingen Gewinn oder Verlust ab.
Paul machte weiter und konzentrierte sich nun stärker auf das Spiel, legte zusammenpassende Farben oder Zahlen zu zweien oder vieren ab und breitete seinen Fächer so aus, wie es dem Spiel den Namen gegeben hatte. Die häufigen halbwilden Trümpfe schenkten ihm wertvollen Raum, ermöglichten ihm, das Akkordeon zusammengezogen zu lassen, doch hatte natürlich sein Gegner den gleichen Vorteil. Und der Mann ließ nicht locker, denn bei einem Akkordeon mußten sich beide Spieler jeweils auf die Ablage einer neuen Karte einigen. Pauls Gegner hatte offensichtlich eine Karte entdeckt, die Paul entgangen war, und seine Ablage um eine Karte weiter zusammengezogen als er; daher durfte er zwei oder drei Karten ziehen, während Pauls Ablage aufgeschoben war. Er wußte, wie man Akkordeon gegeneinander spielt, nun gut. Er hatte Paul auf der Rolle, und er wußte es, und er ließ auch nicht mehr locker. Paul konnte versuchen, was er wollte, er konnte die Initiative nicht zurückerlangen.
Die letzte Karte war ein Trumpf: die Hohepriesterin, die ironischerweise auch für das
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