Der Gott von Tarot
verschwunden, woher sie gekommen waren? Oder hatten sie niemals wirklich existiert? Nun, wenn ihm jemand einen Streich spielte, würde er in wenigen Augenblicken den Beweis dafür erbringen.
Wieder wählte er eine Karte aus: Münz-Vier, mit vier blumenartigen Scheiben, eine jede hatte ein vierblättriges Kleeblatt in der Mitte und ein verziertes Schild mit den Zeichen IM. Nachdem er sie herumgezeigt hatte, reichte er sie dem Dekan. Doch ohne Wissen seiner Zuschauer tauschte er sie aus. Nun hielt dieser das Kelch-As in Händen.
Wenn sich nun die vier Münzen bildeten, würde er wissen, es handelte sich um eine Massenhypnose, denn dies mußte durch den Glauben der anderen hervorgerufen worden sein. Aber wenn sich der Kelch bildete …
Es zeigte sich der Kelch, riesig und bunt, mit blauem Rand und einem Kreuz auf der Seite.
„Ich glaube, unser Gast erlaubt sich einen kleine Scherz mit uns“, bemerkte Pfarrer Siltz ohne Humor.
„Ich verifiziere lediglich den Ursprung der Animationen“, entgegnete Bruder Paul erschüttert. „Sehen Sie alle die Münze?“
„Den Kelch, keine Münze“, antwortete Pfarrer Siltz. „Es wird durch den kontrolliert, der es hervorruft; unsere Erwartungshaltung ist dabei unwichtig.“
Das stimmte wohl! Und der Kelch war so groß, daß man ihn nicht wie bei einem Taschenspielertrick an der Person des Dekans hätte verstecken können, selbst wenn der Mann clever genug gewesen wäre, einen solchen Trick unter den erfahrenen Augen Bruder Pauls auszuführen. Dies hier bedeutete eine größere Herausforderung als er vorausgesehen hatte. Konkrete, körperliche Erscheinungen, durch Willenskraft bewußt herbeigerufen!
„Eindrucksvoll“, gab Bruder Paul zu. „Aber Ihr scheint die Situation gut zu beherrschen. Ich dachte, Ihr seid wegen der Erscheinungen beunruhigt …“
Pfarrer Siltz lächelte grimmig. „Das waren wir zuerst in der Tat. Aber während des letzten Jahres haben wir mehr darüber gelernt. Wir haben uns der Natur dieser Erscheinungen zu versichern versucht, sind aber, weiß Gott, noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis gekommen.“
Der Dekan wandte sich um, und der Kelch verschwand. „Jeder von uns kann Gott in seiner eigenen Vorstellung beleben, aber das wäre lediglich eine Meinung, nicht die Wahrheit. Es ist lebenswichtig für uns, die Wahrheit zu erfahren.“
„Aber würde nicht auch ich Gott nach meiner Vorstellung beleben?“ fragte Bruder Paul besorgt. Das genau war der Punkt, den Pfarrer Siltz in ihrer privaten Diskussion aufgeworfen hatte.
„Wir müssen uns auf Ihre Objektivität verlassen – und wir werden Ihnen Beobachter beistellen, die Sie unterstützen“, antwortete Pfarrer Siltz. Er verriet nun nichts mehr von seiner eigentlichen Haltung. „Sie werden Sie auch vor unverhofften Manifestationen schützen.“
Und jene Manifestationen, das war deutlich geworden, konnten einen tödlichen Ausgang nehmen! „Kann ich das selber ausprobieren? Hier? Jetzt?“ fragte Bruder Paul und verspürte einen leichten Schauder, wie Lampenfieber.
„Schnell, denn der Sturm zieht schon vorüber“, meinte Dekan Brown. „Diese Dinge sind schwankender Natur – diese Runde war außergewöhnlich gut. Normalerweise erweist es sich als notwendig, zum Nordloch zu gehen, um derart deutliche Animationen zu bekommen. Und das ist gefährlich.“
Bruder Paul nahm einen der Großen Arkanen: Null, der Narr!
„Nein!“ riefen mehrere Stimmen zugleich.
„Versuchen Sie nicht, einen lebendigen Menschen herbeizurufen“, sagte Pfarrer Siltz, sichtlich erregt, und die anderen schienen seine Gefühle zu teilen. „Das könnte unvorhersehbare Konsequenzen
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