Der Gott von Tarot
heimlich ein wenig Vulkanasche zu einer kranken Pflanze, wenn ich das eigentlich auch nicht darf. Unter den Pflanzen gibt es noch andere Wesen, Insekten und sogar Schlangen, die durch den niedrigen Gras-Baldachin geschützt werden. Das gibt mir ein richtiges Heimatgefühl.“
„Die meisten Mädchen auf der Erde mögen keine Schlangen, so nützlich diese Reptile auch sein mögen“, meinte Bruder Paul.
„Die meisten Mädchen auf der Erde verehren auch nicht Abraxas, den schlangenfüßigen Gott“, erwiderte sie. „Die Furcht vor Schlangen ist übrigens relativ jung, historisch gesehen. In der Bibel galt die Schlange als Symbol der Weisheit, die …“
„Vorsichtig“, erinnerte sie der Swami. „Denk an den Vertrag.“
„Tut mir leid“, sagte sie. „Wir dürfen uns nicht über unseren jeweiligen Glauben verbreiten, im Interesse Ihrer Objektivität. Das ist ärgerlich. Jedenfalls habe ich hier im Gebirge unübertreffliche Kunstwerke gefunden in den Sonnenuntergängen und Stürmen dieses unverdorbenen Planeten. Haben Sie schon einmal gesehen, wie der Wind die Tarotblasen vor sich hertreibt? Ich glaube, in diesem Teil der Galaxis haben wir die schönsten Stürme! Ich habe diese Schönheit in die Weberei zu übertragen versucht, die ich in der Freizeit betreibe.“
„Weben tun Sie auch?“ fragte Bruder Paul.
„Oh ja. Wir alle weben mit den Fasern vom Baum des Lebens, denn wir brauchen Kleider und Decken gegen die Kälte. Sie haben noch keinen richtigen Winter erlebt, bis Sie hier einen überstanden haben. Aber selbst im Sommer muß ich längere Zeit allein hier sitzen, und Weben und Sticken helfen mir dabei. Dieses Kleid habe ich selber entworfen und hergestellt“, sagte sie stolz und holte so tief Luft, daß sie die beiden Vulkane fast zum Ausbruch brachte. „Es ist eine genau Umrißkarte der Region, gesehen von meiner Station aus.“ Sie zuckte die Achseln und verursachte ein weiteres Erdbeben um die Berge herum. „Natürlich müßte es auch im richtigen Winkel dargestellt sein. Genau genommen müßte ich mit den Füßen nach Norden liegen …“
„Schamlos!“ zischte der Swami.
„Oh, komm schon, Swami“, sagte sie. „Verbindet Kundalini nicht ebenso Prana mit der Sexualkraft, wie es mein Gott Abraxas auch tut? Es ist doch nicht schamlos, wenn man die Frau mit der Natur in Verbindung bringt.“
„Ich wußte nicht, daß es zwei Vulkane sind“, sagte Bruder Paul in dem Bestreben, diese Debatte am besten abzubrechen. Er hätte es nie für möglich gehalten, daß die Religion eine so große Rolle im täglichen Leben der Menschen spielen konnte, aber ihm erwuchsen auch Zweifel. Bei jeder persönlichen Zusammenkunft hier auf dem Planeten Tarot wurden die Feindseligkeiten der religiösen Unduldsamkeit kaum verschleiert.
„Oh ja“, sagte sie. „Es ist ein Vulkan mit zwei Gipfeln. Normalerweise brechen sie zugleich aus. Vom Dorf aus gesehen verdeckt der eine den anderen, und manchmal verschleiert der Morgendunst beide, aber von hier aus …“ Sie wandte sich um und schritt rasch zurück, um nicht ihren Weg zum Nordloch zu behindern. „Ja, jetzt kann man beide sehen. Linker Südberg und Rechter Südberg.“ Sie deutete auf die entsprechenden Stellen auf der Karte und hinterließ einen momentanen Eindruck in den weichen Hügeln.
Bruder Paul mühte seinen Blick von den Eindrücken fort und sah zurück. Deutlich waren nun die zwei Kegel zu sehen, und sie ähnelten denen der Umrißkarte: Voll und rund und nicht sehr kegelförmig. „Wo ist der Gebirgsgarten?“ fragte er.
„Hier in der Schlucht“, sagte sie und deutete auf eine Stelle auf der Karte zwischen den Kegeln. „Der Weg vom Dorf aus führt über den Osthang. Hier.“ Sie fuhr
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