Der Gott von Tarot
Amaranth-Feld, korrigierte sich Bruder Paul. Dieses Mal floh sie nicht vor ihm, und dafür war er dankbar. Nun konnte er feststellen, wer sie war.
Sie trug ein einteiliges Gewand, eine Tunika mit Gürtel, die mit Motiven der hiesigen Landschaft bestickt war. Bei jedem Kolonisten konnte man an seiner Kleidung erkennen, welcher Religion er angehörte, doch dies hier war anders. Man sah bunte Hügel und Täler und zwei Vulkane im Vordergrund: eine richtige plastische Karte. Bruder Paul versuchte, seinen Blick abzuwenden. Es waren ungewöhnlich hohe und wohlgeformte Vulkane.
„Wir sind nur auf dem Vorbeimarsch“, sagte der Swami.
„Und ringt auf dem Boden und walzt die Ernte platt und macht ein Geschrei?“ fragte sie. „Swami, ich habe dich immer schon für verrückt gehalten, aber …“
„Das ist meine Schuld“, unterbrach sie Bruder Paul. „Ich habe versucht, ihm klarzumachen, wie ich den Knochenbrecher besiegt habe.“
Bewundernd zog sie die schönen Augen zusammen. „Dann muß ich mit Ihnen sprechen“, sagte sie fest. Eigentlich war alles an ihr fest; sie war eine ungewöhnlich schöne junge Frau mit goldenem Haar und Augen, Haut und Gesichtszügen, die die Erzähler aus Tausendundeiner Nacht als ein ‚Wunder an Symmetrie’ beschrieben hätten. Vielleicht hatte Bruder Paul irgendwann in seinem Leben schon einmal eine schönere Frau gesehen, aber im Moment hatte er Schwierigkeiten, sich diese Möglichkeit überhaupt vor Augen zu führen.
„Es ist meine Aufgabe, diesen Mann herumzuführen“, sagte der Swami grob, während er aufstand und sich den Staub abklopfte. „Wir müssen bald zum Nordloch kommen.“
„Dann werde ich euch begleiten“, antwortete sie. „Es ist wichtig für mich, mit dem Gast von der Erde zu sprechen.“
„Du darfst deinen Posten nicht verlassen.“
„Mein Posten heißt Knochenbrecher. Und der ist heute nicht da“, sagte sie entschieden.
Bruder Paul schwieg. Es schien, daß der Swami ebenso abserviert würde, wie er selber den Pfarrer verdrängt hatte; es wäre auch von verführerischem Reiz, diese bildschöne Frau bei sich zu haben. Er hatte schon befürchtet, sie nicht wiederzusehen, aber hier stand sie und zwang ihm förmlich ihre Gesellschaft auf. Offensichtlich akzeptierte sie keine unterlegene Rolle; vielleicht waren Frauen den Männern hier doch gleichgestellt. Das wäre nett.
Der Swami zuckte die Achseln und unterdrückte offensichtlich seinen Ärger. „Diese Frau ist der Ersatz für den Knochenbrecher“, sagte er mit einer vorstellenden Geste. „Sie allein hat keine Angst vor dem Ungeheuer. Das merkt man schon an ihrem Auftreten.“
„Der Swami hat seine folgsame Tochter lieber“, entgegnete sie, „die nur eine geringe Vorstellung von Individualität hat.“
Schlag und Gegenhieb. „Wie heißen Sie, Knochenbrecherlady?“ fragte Bruder Paul. „Warum sind Sie vor mir geflüchtet, wenn Sie so wenig Furcht haben?“
„Ich habe Sie für eine Erscheinung gehalten“, antwortete sie. „Die einzig mögliche Handlungsweise gegenüber einer Erscheinung ist, so schnell wie möglich fortzulaufen.“
Hmm. Eine klare, freundliche Antwort, die viel von seiner vorherigen Vorstellung von ihr als einer Herrscherin entkräftete. „Und Ihr Name?“
„Nennen Sie sie wie Sie wollen“, sagte der Swami. „Bei den Groben ist Höflichkeit fehl am Platze.“
Das Mädchen lächelte nur, durch die Unfreundlichkeit des Swami in keiner Weise peinlich berührt. Wenn sie allerdings vorgehabt haben sollte, ihren Namen zu nennen, dann war dieser Plan nun verschwunden. Irgendwie mußte Bruder Paul diese kleine gesellschaftliche Krise überwinden, weil er mit beiden auskommen wollte, wenn
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