Der Gott von Tarot
zulassen; er mußte die Kontrolle bewahren.
Bruder Paul hob die Karten, die er noch in der Hand hielt, hoch – zögerte jedoch. Es gab viele anerkannte Versionen der Tarotkarten, und die Großen Arkanen waren machtvoll. Welche Variante der Arkane Sechs wäre wohl die beste?
Seine eigene Version vom Heiligen Orden der Vision natürlich! Die Gelehrten des Ordens hatten den Symbolismus verfeinert, den die Forscher von der Goldenen Dämmerung entwickelt hatten, und die Illustrationen verbessert, bis sie so präzise waren, wie es sich für Tarot gehörte: ein wunderbares Mittel zur Selbstaufklärung.
Doch der Heilige Orden der Vision beschränkte seine Brüder und Schwestern nicht aufsein eigenes System, genausowenig wie er sie auf ein bestimmtes religiöses System festlegte. Das Herz seiner Philosophie, wie die von Jesus Christus und des Apostels Paulus, war der Dienst am Menschen. Einer dieser Dienste war die Freiheit des Glaubens. Jene, die die Position des Ordens zu vertreten suchten, konnten dies natürlich tun und Ministerielle des Visionsordens werden. Doch einzelne Mitglieder wie Bruder Paul wurden ermutigt, ihr eigenes Verständnis zu entwickeln, denn die Hingabe an den Orden mußte freiwillig erfolgen. Der Orden stellte sicher, daß es keine Freiheit ohne Aufklärung gab; daher erwartete man von jedem, daß er sich umfassend bildete, ehe er sich an einer bestimmten Glaubensrichtung orientierte. So hatte Bruder Paul viele Aspekte religiösen Lebens untersucht, wenn auch bislang diese Studien notwendigerweise oberflächlich gewesen waren: Es gab in einem einzigen Menschenleben einfach zu wenig Zeit, um die Verzweigungen aller menschlichen Glaubensrichtungen auf der Erde zu erfassen. Wenn er sein Interesse besser konzentriert hätte, dann hätte er den Status eines Bruders bereits hinter sich gelassen – aber das war nicht seine Art. Nun mußte er sich fragen: Sollte er die vertraute Version des Tarots benutzen oder das weitgehend ähnliche Waite-Spiel in seiner Hand, oder sollte er ernsthaft andere Tarotspiele in Erwägung ziehen?
Wenn man die Frage so stellte, so erlaubte sie nur eine Antwort. Wenn er überhaupt mit Tarot umging, sollte er das jeweils passendste Spiel nehmen. Er versuchte stets, ein Problem vollständig abzudecken und akzeptierte niemals blindlings nur eine Lösung. Das Visions-Tarotspiel war gut, daran bestand kein Zweifel, aber war es das der Situation entsprechende? Da andere Spiele andere Glaubenssysteme reflektierten und das Problem des Planeten Tarot das der in Konflikt liegenden Glaubensrichtungen war, konnte er keine schnelle Entscheidung treffen.
Er hatte eigentlich nicht vorgehabt, sich bei diesem ersten Versuch so weit auf diese Erscheinungen einzulassen. Als ihm dies bewußt wurde, spürte er den Impuls, sich sogleich zurückzuziehen, um sich Gelegenheit zu verschaffen, objektiver und gelassener zu überdenken, was er entdeckt hatte, und ein systematischeres Untersuchungsprogramm aufzustellen. Er hatte immer noch das Gefühl, Eile sei dumm. Er verspürte auch das Gefühl, daß – wenn er die beiden Frauen anreden würde und sie auch antworteten – dieses Mal die Antworten bedeutsamer sein würden als die des Hierophanten. Das bedeutete jedoch nicht, daß er nun sprechen würde; er mußte erst überlegen, welche Person er was fragen wollte. Die Wahl der Person konnte höchste Bedeutung haben. Daher sollte er sich zurückziehen und diese Szene erst wiederbeleben, wenn er ausreichend darauf vorbereitet war.
Ein Problem blieb jedoch bestehen: Wie konnte er den Weg
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