Der Gott von Tarot
hindurchführt.“
„Wollen wir das nicht alle?“ stimmte ihm jemand zu.
Bruder Paul blickte sich um. Es war eine männliche Stimme gewesen, doch beide Gestalten vor ihm waren, wenn auch verschwommen sichtbar, definitiv weiblich. „Wo bist du?“
„Hier oben auf Wolke Neun.“
Bruder Paul blickte auf. Der Mann aus dem Boot sah hinab. „Bist du freiwillig dort oben?“ fragte ihn Bruder Paul.
„Nicht daß ich wüßte. Ich habe meine Frau und mein Kind über den Fluß gerudert, als plötzlich …“ Der Mann hielt inne. „Ich habe nicht einmal Frau und Kind. Bin ich wahnsinnig?“
„Nein“, beruhigte ihn Bruder Paul. „Du bist Teil einer Szene, die ich aus den Tarotkarten beschworen habe.“
„Du hast sie herbeigezaubert? Ich dachte, ich sei es gewesen!“ Der Mann kratzte sich am Kopf. „Aber wenn es dir gefällt … Es muß dein Einfall gewesen sein, denn ich hätte mich sonst niemals auf diesen Flug begeben.“
War dies ein richtiger Mensch, ein Kolonist, der wie Bruder Paul an diesem Bild teilnahm? Oder war er ausschließlich Bestandteil des herbeigerufenen Bildes? Bruder Paul zögerte mit seinen Fragen, da er nicht sicher war, ob er den Antworten trauen konnte. Er sollte in absehbarer Zeit in der Lage sein, dies selber herauszufinden. „Nun, vielleicht können wir dich dort herunterholen. Ich bin dabei, eine andere Karte aufzulegen.“
„Warte!“ rief der Mann. „Wenn du diese Wolke ablegst, falle ich herab und breche mir das Bein!“
Bruder Paul begann zu lachen, wurde jedoch unmittelbar darauf nachdenklich. Es gab kaum Zweifel, daß diese Animationen dreidimensionale projizierte Visionen waren, die selbst eine Kameralinse sehen konnte (und er hoffte, sein Aufzeichner war auf dem Posten, denn wer würde auf der Erde sonst seine Geschichte glauben?) – aber innerhalb der Bilder schien es eine gewisse physisch faßbare Realität zu geben. Es starben wirklich Menschen während einer Erscheinung. Wenn dieser Mann echt war, saß er vielleicht in Wirklichkeit auf einem Baum, und wenn die ‚Wolke’ verschwand, konnte er wirklich von seinem Ast fallen und sich ernsthaft verletzen. Dafür wollte Bruder Paul nicht verantwortlich sein.
„Nun gut. Ich lasse das mit der Karte und rufe nur Sprecher herbei für jedes einzelne Tarotspiel, wenn sich das als möglich erweisen sollte. Ich bin sicher, dir wird nichts passieren.“ Wenn der Mann ihm glaubte, würde ihm auch nichts geschehen. Glaube war der Schlüssel, wenn sein momentaner Eindruck richtig war.
„Kannst du mir nicht einfach eine Leiter herbeizaubern, damit ich hinabsteigen kann?“ fragte der Mann kläglich.
Bruder Paul dachte nach. „Ich bin nicht sicher, ob ich das schaffe. Bislang habe ich diese Bilder geformt, indem ich Karten aufgedeckt habe und mich darauf konzentrierte. Ich habe keine Karte mit einer Leiter. Wenn ich versuche, in dieses Bild eine Leiter einzufügen, die dort nicht hineingehört – nun, wenn ich mich in eine Erscheinung hineinbegeben habe, habe ich sie immer verändert. Ich fürchte aber, ich kann keine Szene verändern, die bereits existiert, ohne sie insgesamt zu zerstören. Ein Versuch, eine Leiter herbeizuzaubern, könnte also vielleicht den Boden, auf dem sie stehen soll, hinwegraffen und genau zu dem Fall führen, den wir vermeiden wollen. Vielleicht sind Einzeländerungen möglich, wenn ich größere Erfahrung mit Erscheinungen habe, aber im Moment fürchte ich …“
„Ich verstehe“, antwortete der Mann. „Mach es auf deine Weise. Ich warte. Diese Wolke ist eigentlich recht bequem.“
Bruder Paul konzentrierte sich. „Ältestes Tarotspiel, sende deinen Sprecher“, intonierte er mit plötzlicher Intensität. Diese Sache mit den
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