Der Gott von Tarot
über die Länder des Mittelmeerraumes verstreut. Das war die Diaspora – weder die erste noch die letzte jüdische Vertreibung, denn eine ganze Reihe von Eroberern benutzten diese Methode, um dieses widerspenstige Volk in den Griff zu bekommen. Das war insofern bedeutsam, als gleichzeitig die Zeit um etwa 300 A. D. das Einschnittsdatum für die Bibel darstellte. Viele vertriebene Juden sprachen nun eher Griechisch als Hebräisch, und in Alexandria gab es sogar mehr Juden als in Jerusalem. Doch für die Bibel, so wie sie zu dem Zeitpunkt aussah, wurden nur genau definierte, hebräische Texte akzeptiert. So wurde sowohl von den Christen als auch von den Juden viel Material ausgeschlossen, wenn man es auch allgemein als den Texten des Buches angemessen empfand. Die vollständige Sammlung besteht aus neununddreißig Büchern des Alten Testaments, vierzehn Büchern der Apokryphe (was, verborgen’ bedeutet), und siebenundzwanzig Büchern des Neuen Testamentes. So ist die Aufzeichnung lückenlos.
Die Kutsche raste über die Ebene. Bruder Paul versuchte, sich festzuhalten, aber seine Hände hielten den monströsen Kelch. Es gab keine Zügel.
Er stemmte die Beine gegen die metallenen Stützen des Baldachins über der Kutsche und bemerkte, daß er eine Rüstung trug. Sein Visier stand offen, und die Armschienen waren biegsam. Es war eine gute Rüstung. Für den Kampf. Die Kutsche war solide und gut gebaut; es bestand keine Gefahr, daß sie trotz der rasenden Schnelligkeit auseinanderbrach. Die Pferde …
Pferde? Nein, das waren vier unglaubliche geharnischte Ungeheuer. Eines hatte den Kopf eines Bullen, das andere den eines Adlers, das dritte einen Menschenkopf und das vierte ein Löwenhaupt. Die vier Symbole der vier Elemente! Doch die Körper paßten nicht dazu. Der Menschenkopf hatte Adlerklauen, der Löwe Adlerflügel, Frauenbrüste und Bullenfüße. Alle Bestandteile der Sphinx, doch keines von ihnen war die Sphinx.
„Was tue ich hier?“ rief Bruder Paul verwirrt.
Der Menschenkopf drehte sich zu ihm um und zeigte, umgeben von einem ägyptischen Kopfputz, das Gesicht Therions. „Du lenkst die Kutsche!“ rief das Ungeheuer. „Ich führe dich durch das Tarot, wie du es gewollt hast.“
„Aber doch nicht …“ Bruder Paul brach ab. Was hatte er denn gewollt? Er hatte um Führung gebeten, und die Kutsche war die nächste Karte. Arkane Sieben. Das Symbol des Sieges oder der Räder des Hesekiel, gezogen von zwei Sphinxen, die die Sinne repräsentieren: teils Löwe, teils Frau. Die okkulten Kräften mußten so beherrscht werden, daß sie die Kutsche des Menschen antrieben. Ohne diese Kontrolle konnte er seinen Weg aus diesem Morast nicht mehr herausfinden, in den ihn die Animationen getrieben hatten, ganz zu schweigen von dem Vorhaben, Gott aus dem Chaos zu trennen.
Warum aber waren es vier Zugtiere statt nur zwei? Weil dies nicht die Bruder Paul bekannte Karte war, sondern die Therions.
Kein Wunder, daß er Schwierigkeiten hatte! „Gib mir die andere Variante!“ rief Bruder Paul.
Die zusammengesetzten Wesen veränderten sich und verschmolzen zu zwei weißen Pferden. Die Kutsche nahm ein mittelalterliches Aussehen an. „Nein, die auch nicht!“ Weitere Veränderungen, und es erschienen zwei Sphinxe, die eine schwarz, die andere weiß. „Ja, genau die!“ rief er, und das Bild verfestigte sich.
Die weiße Sphinx drehte den Kopf zu ihm um. „Nett, dich wiederzusehen“, sagte sie.
„Licht!“ rief Bruder Paul wiedererkennend. „Ich meine, den Apologeten für das Tarot der Bruderschaft vom Licht! Ich dachte, dies sei das Waite-Spiel?“
Sie kräuselte die kecke Nase. „Ich hatte gehofft, du hättest diese
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