Der Gott von Tarot
überlappendes doppeltes Triangel, zu den stilisierten Umrissen des weiblichen Reproduktionsorgans geformt. Die Gebärmutter zog sich bis zur Vagina, und der größte Kelch stellte die Vulva dar, die mit grünlicher Flüssigkeit aus den Geschlechtsorganen der Pflanze überfloß. Blumen waren natürlich Kopulationsorgane, attraktiv genug, daß andere Spezies wie Bienen gern den Pflanzen bei der Reproduktion behilflich waren. Wie viele prüde Frauen waren sich der vollen Bedeutung der Geste bewußt, wenn sie ihre Nasen in Blüten steckten, um den anregenden Duft zu spüren? Die Natur lacht über die Vertuschungen der menschlichen Schwächen.
Doch was genug war, war genug. Bruder Paul hatte kein Interesse, weiterhin in diesen dicklichen Flüssigkeiten zu baden. „Die Kelch-Sieben von Waite!“ schrie er.
„Oh, nun gut“, sagte Therion mürrisch. „Das ist einer von Arthwaites besser gelungenen Versuchen, wenn er auch die richtige Bedeutung vollständig verfehlt.“
Das Meer kochte auf und entließ dichte Dampfwolken. Aus der Ferne klang Therions Stimme. „Das wird dir leid tun!“, und es echote: „… leid tun … leid tun …“
Das Meer verdunstete zu grünlichen Wolken und ließ Bruder Paul auf einem klebrigen, grünlichen Film stehen, der zu einer Wiese wurde. Die Kelche behielten ihre Stellung bei, nahmen jedoch eine goldgelbe Farbe an. Die Blumen fielen herein und verwandelten sich in verschiedene Objekte, die über den Rand hinausragten. Schließlich stand Paul vor den sieben Kelchen, die auf einer grauen Wolkenbank thronten.
„Da ist es“, sagte Therion, der nun neben ihm stand. „Verwirrende Bilder, nicht wahr?“
„Bist du immer noch da? Ich dachte, Waite würde …“
„Du hast mich doch als Führer gewählt, oder? In Arkane Sex war das … ich meine natürlich Sechs. Du kannst dir nun jede Karte ansehen, die du willst, aber ich werde sie interpretieren.“
Diese Wahl war also allgemeingültig gewesen, zumindest für die Dauer seines Aufenthaltes. Bruder Paul befürchtete, seine Wahl zu sorglos getroffen zu haben. Nun, er würde es durchstehen und beim nächsten Mal besser vorbereitet sein. Dieses Mal schien es, als habe er bei der Wahl zwischen Tugend und Laster das Laster gewählt. Immerhin war er mit diesem Bild einigermaßen vertraut, wenn auch der Heilige Orden der Vision die Kleinen Arkanen nicht sonderlich beachtete.
Zunächst einmal mußte er sich orientieren. Warum genau war er hier? Er hatte aus der umstürzenden Kutsche heraus gewollt, gewiß, ebenso aus der Schleimsuppe von Therions Kelch-Sieben, aber was war der positive Grund?
Antwort: Er war hier, um die letztendlichen Verzweigungen dieser Erscheinungen zu ergründen. Sein kurzfristiges Ziel, aus dieser speziellen Sequenz herauszukommen, war gelaufen; wieviel Mühe er sich auch gab, er schien sich nur tiefer hineinzubohren, wie ein Mensch in tückischem Treibsand seine Situation nur verschlechtert, indem er zappelt. (Wenn er auch immer gedacht hatte, da Sand dichter als Wasser war, könne ein Mann in Treibsand auch richtig treiben. Daher würde er sich in keiner Gefahr befinden, wenn er sich einfach entspannte. Konnte er hier, in der Animation, treiben, wenn er sich einfach fallen ließ?)
Wenn sich Gott vor ihm manifestierte, wie er es vor anderen getan hatte – wessen Gott würde es sein? Die Befragung des Hierophanten hatte nichts genützt; Bruder Paul mußte zunächst die spezifische Natur der Manifestationen begreifen. Wieder einmal dachte er zurück und hoffte auf eine neue Einsicht. Waren die Visionen reine Produkte seiner Gedanken? Oder lag hinter ihnen eine objektive Realität? Das blieb
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