Der Gottbettler: Roman (German Edition)
würde sie schon am nächsten Tag weitermarschieren können. Der abgezogene Hase würde ausreichend Material liefern.
Terca sah sich um. Yankela hatte sich bereits aus dem Staub gemacht. Es wurde kühl, der Abend nahte. Doch noch an diesem Tag würde eine Entscheidung fallen, und sie sah keine Möglichkeit, dagegen etwas zu unternehmen. Höhere Mächte waren im Spiel, und so musste sie die folgenden Ereignisse so hinnehmen, wie sie geschahen.
Terca kümmerte sich wieder um den Hasen. Sie hatte Hunger.
Ihre anderen Sinne rissen sie aus dem Schlaf, noch bevor sie das Knacksen brechender Hölzer hörte. Sie griff nach dem bereitliegenden Knüppel, kam rasch auf die Beine und stellte sich so hin, dass der verletzte Knöchel möglichst wenig belastet wurde.
Schritte. Schwer und unregelmäßig. Röcheln und Schnaufen, wie von einem brunftigen Waldhirsch. Und ein leises Wimmern, das eine Kakophonie ergab, wie sie sonst nur von angetrunkenen Musikern in den widerlichsten Gasthäusern der Unterstadt Poitreas erzeugt wurde.
Terca wich vom Feuer zurück und verbarg sich im Schatten, in der Deckung der Böschung.
»… nicht mehr …«, sagte eine Stimme.
»… sind schon da«, eine andere. »… haben es fast geschafft. Feuer. Wärme. Nahrung. Vertrau mir …«
»… lass mich sterben …« Weiteres Wimmern und Schluchzen.
Dann blieb es für eine Weile still, selbst das angestrengte Schnaufen brach ab.
Schließlich ein Schrei. Er klang nach Verzweiflung und Erschöpfung. »Hilfe!«, tönte die kräftigere der beiden Stimmen. »Wer auch immer dort unten ist – hilf uns, im Namen aller Götter!«
»Die Götter sind längst tot«, hörte sich Terca sagen. Sie trat ins flackernde Licht des Feuers und starrte nach oben, hin zu einer mit dicken Tüchern umwickelten Gestalt. »Und selbst wenn sie noch da wären, würde sie dein Geschrei nicht kümmern.«
Was tat sie da? Warum warf sie ihre eigenen Prinzipien über Bord? Männer, die durch die Nacht stolperten und sinnlos vor sich hin stammelten, waren in den seltensten Fällen eine gute Gesellschaft. Sie bedeuteten Schwierigkeiten und Sorgen und schlimmstenfalls einen Kampf auf Leben und Tod.
»Hilf uns«, krächzte der Mann. »Bitte.«
Warum wollte jedermann, dass sie half? Konnte man sie nicht einfach in Ruhe lassen? »Ich bin alt und runzlig und hässlich und noch dazu eine Niete im Bett.«
»Wie bitte?«
»Ich sage das bloß zur Sicherheit. Damit du gar nicht auf den Gedanken kommst, mich vergewaltigen zu wollen. Du willst mich doch nicht vergewaltigen?«
»Erwartest du eine Antwort von mir?«
»Ja. Denn du würdest mich sicherlich nicht anlügen. Oder?«
»Ich frage mich, wie du es geschafft hast, alt und runzlig zu werden. Weiber, die so dumm sind wie du, haben meist ein kurzes Leben.«
Terca konzentrierte sich auf die Stimme. Sie klang, als würde der Mann kurz davor stehen zusammenzubrechen. Vielleicht war er ansonsten ein geschickter Lügner, doch er schien derzeit viel zu schwach, um die Unwahrheit zu sagen.
»Weiber wie ich haben meist ein viel zu langes Leben«, korrigierte sie ihn. Sie griff nach einem Stecken und stieg vorsichtig die Böschung hoch, Schritt für Schritt. Die Verletzung am Fuß machte sich durch ein unangenehmes Pochen bemerkbar, doch für ein paar Minuten ließ sich der Schmerz aushalten. Danach würde sie die Rechnung mit Zins und Zinseszins bezahlen müssen. »Hoffentlich bist du es wert, Kleiner«, sagte sie leise.
»Hm?«, brummte der Mann. Er stand da, schwankend, kaum noch in der Lage, sich auf den Beinen zu halten. Er wirkte viel zu erschöpft, um die wenigen Schritte hinab zum Feuer allein zu schaffen.
»Was trägst du da auf der Schulter?« Tatsächlich schleppte er ein dickes Fell- und Stoffbündel mit sich herum. »Und was ist dir passiert, dass du schwankst wie ein Grashalm im Sturm? Ich könnte dich mit einem Furz umwehen, scheint mir.«
»Hilf mir runter. Bitte.«
Na schön. Ein humorloser Mensch also. Enttäuscht packte sie zu, hielt den Mann so gut es ging am Arm fest, während er die Böschung nach unten stolperte. Unmittelbar neben dem Feuer fiel er auf die Knie. Er ächzte wie eines jener Walrosse, die von Zeit zu Zeit auf den Felsen unterhalb der Wand gegen die tosenden Wasser ankämpften. Das Bündel ließ er von der Schulter gleiten und zu Boden fallen – und im nächsten Moment drang ein Wimmern daraus hervor.
»Was, bitteschön, ist das?«, fragte Terca erschrocken.
Sie hatte nur noch Augen für
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