Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Einzelgängers handelnd.
Das Tier wand sich und fügte ihr weitere Wunden zu. Überall war Blut. Sie musste rasch eine Entscheidung herbeiführen. Die geringen Kraftreserven, die sie seit ihrem Erwachen gesammelt hatte, drohten bereits wieder zu versiegen.
Terca streckte mit einem Ruck beide Arme empor und schleuderte das Vieh mit aller Wucht gegen einen Felsen. Es drehte sich im Flug und prallte seitlich dagegen, miaute jämmerlich, kam gleich wieder auf die Pfoten. Es stand unsicher da und wusste wohl nicht, ob es einen neuerlichen Angriff wagen oder das Weite suchen sollte angesichts eines Gegners, der sich als weitaus stärker entpuppt hatte, als es anfänglich den Anschein gehabt hatte.
»Du bleibst schön hier!«, knurrte Terca. Sie fixierte die Wildkatze mit ihrem Blick, während sie mit den Händen über den Boden tastete, bis sie fand, was sie gesucht hatte. Zwei faustgroße Steine. Sie nahm sie auf, wog ihre Chancen ab. Nie und nimmer würde sie das Tier mit einem Wurf treffen, selbst unter den besten Umständen nicht.
Also aktivierte sie die Dusus. Das Bild ihrer Umgebung wurde besser, deutlicher. Alles zeigte sich fein gezeichnet, scharf konturiert und in klaren Strukturen.
Die Wildkatze wich fauchend zurück. Sie fühlte, dass sich etwas geändert hatte. Dass sie vom Jäger zum Opfer wurde.
Terca schleuderte einen der Steine. Es war sicher, dass er die richtige Flugbahn beschreiben würde, und ebenso, dass das Tier just im richtigen Moment am richtigen Ort sein würde. Alles war eins. Alles passte zusammen. Perfektion geschah, und ein Tier starb, getötet unter Umständen, die nicht hätten sein dürfen.
»Warum?«, keuchte Terca. »Warum kann ich den Tod nicht einfach gewähren lassen?«
Sie taumelte auf die Katze zu, drehte dem zuckenden Vieh den Hals um, wartete, bis es verendet war, und machte sich dann über sein Fleisch her. Es schmeckte nach Kraft, die rasch auf sie überging. Ein Rausch aus Lust und Ekstase überkam sie.
Sie würde die Dusus mindestens zwei Tage lang nicht anwenden können. Ihre besonderen Kräfte waren bis zum Letzten aufgezehrt, und diese Leere würde sich auch auf ihren Verstand auswirken. Von nun an war sie nichts anderes als eine Sterbliche.
»Wohin, alte Frau?«, fragte sie sich und betrachtete den blutigen Kadaver der Wildkatze.
»Nördlich, östlich, südlich, dem Geruch des Bluts eines Einzelnen nach«, sagte das eben erst verstorbene Leben.
»Wie lange wirst du mich begleiten?«
»Bis du in deiner Aufmerksamkeit nachlässt. Dann laufe ich davon, dem nächsten Mond entgegen.«
»Katzen sind untreue Begleiter. Selbst wenn man sich ihren Geist einverleibt, kann man sich kaum auf sie verlassen.«
»Das ist unsere Natur, Frau aus der alten Zeit.«
»Woher weißt du …«
»Wir Katzen wissen viele Dinge. Der Wind raunt sie uns zu, die Erde lässt sie uns spüren. Und andere Wissende verbreiten Gerüchte über die Frau, die schon viel zu lange lebt. Der es nicht einmal gelingt, in der Wand nach dem Tod zu greifen.«
»Obwohl ich es immer wieder versuche. Die Götter wissen, wie sehr ich mir das ewige Vergessen wünsche.«
»Oh, die Frau aus der alten Zeit lügt. Vor allem belügt sie sich selbst.«
Terca nickte betroffen. Sie musste es sich eingestehen, dass sie das Leben zu sehr liebte, um es aufzugeben. Nicht hier! Nicht jetzt! Es gibt noch so viele Dinge zu sehen und zu erleben!
»Lass uns gehen, rasch. Der Norden ruft, der Osten ruft, und dann der Süden. Es gibt Zweipfoter, die deiner Hilfe bedürfen.«
»Eine schicksalhafte Wendung?«, fragte Terca, teils spöttisch, teils ehrfürchtig. Die besonderen Sinne der Katzen überraschten sie immer wieder.
»Eine schicksalhafte Wendung, ja. Aber du musst dich beeilen, willst du rechtzeitig auf sie treffen. Rasch, rasch. Dem Wind hinterher, den richtigen Gerüchen folgend, weg von hier, diesem Ort voll Mord und Lust und Mordlust.«
Terca ahnte, worauf die Katze hinauswollte. Das Heer des Gottbettlers war auf dem Vormarsch. Durch ihr Eingreifen und den Tod des Unterhändlers stand Poitrea eine Belagerung bevor und mit hoher Wahrscheinlichkeit die Eroberung durch Metcairn Nifes Streitheer.
»Dann lass uns gehen, Katze. Wirst du mir den Weg weisen?«
»Kannst du mir folgen? Siehst du meinen Schatten in der Dunkelheit? Denn ich werde die Schatten nutzen. Und sobald du mich aus den Augen verlierst, bin ich weg, bin ich dahin!«
»Du kannst mir nicht entkommen, wenn ich es nicht möchte. Denn ein Teil von
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