Der Gottbettler: Roman (German Edition)
dir steckt in mir.«
»Welkes Fleisch bloß, das ich nicht mehr benötige. Ich bin jetzt frei, freier als zuvor!« Der Kadaver kam wacklig auf die Beine. Das verstorbene Tier schien sich zu strecken, dann hetzte es mit weiten Sprüngen davon, an uralten Eichen vorbei, dem hier und dort wachsenden Katzenkraut ausweichend.
»Fang mich, wenn du kannst, Frau aus der alten Zeit!«
Terca setzte vorsichtig einen Schritt vor den anderen, immer noch wackelig. Sie hatte die Blutungen an den Unterarmen zwar stillen können, doch die Wunden waren tief. Sie würden über die Jahreszeit hinweg vernarben, die Narben zwanzig Jahre oder länger sichtbar bleiben und dann unter frischeren Wunden verschwinden, um irgendwann in Vergessenheit zu geraten. So wie alle anderen, die sie im Laufe ihres Lebens erlitten hatte.
Sie tauchte in den Wald ein, der womöglich älter war als sie. Die gebändigte Wildkatze wartete, ein Schatten im Schatten, und sie setzte sich erst wieder in Bewegung, als Terca ihr das Zeichen dafür gab. »Wie ich es mir dachte«, murmelte Terca. »Sie lügt und gaukelt mir etwas vor, bloß um den Schein der Unabhängigkeit zu wahren. Ich befürchte, dies wird keine leichte Reise werden.«
Die Stadt Poitrea blieb hinter ihr zurück. Und mit ihr die Wand, die ihr so lange Refugium gewesen war. Die Flucht war wie ein Akt der Befreiung.
Der Wald wich immer weiter zurück, und hinter den weiten fruchtbaren Feldern Mirces breiteten sich jene steinigen Ebenen aus, über die schon zig Generationen von Bauern geflucht hatten. Hier gedieh kaum etwas, das Vieh war dürr und ausgemergelt, wie auch die Menschen, die in den wenigen Ortschaften siedelten.
Terca blieb abseits der üblichen Wege, weiterhin geführt und geleitet von der Knochenkatze, die für sich mittlerweile den Namen Yankela beanspruchte. Das nimmermüde Geschöpf hatte zuerst den Weg Richtung Norden eingeschlagen und wanderte nunmehr ostwärts, wie sie es angekündigt hatte.
»Und wann geht es südlich?«, fragte Terca.
»Ungeduld ist eine Tugend, die ich nur bei mir selbst toleriere.«
»Du meinst wohl Un tugend?«
»Ich sage, was ich meine, und ich meine, was ich sage.«
»Deine Kommentare nerven allmählich, Yankela.«
»Dann lass mich gehen, Frau aus der alten Zeit. Der blaue Mond lockt, er ist nur noch wenige Tage weit weg.«
»Hör auf mit deinem Katzenjammer! Mach dich gefälligst auf und sieh zu, dass du mir was zu essen beschaffst. Und keine Ratten diesmal.«
»Böse, alte, verwöhnte Frau.« Der leichte Schein in Yankelas Augenhöhlen erlosch, sie hetzte davon. Ihre Knochen klapperten leise gegeneinander, doch die ungewohnten Geräusche verklangen bald, vom Wind verschluckt.
Terca wanderte weiter, einen Hügel bergan, auf dessen granitener Kuppe sich mehrere Obelisken aneinanderlehnten. So unwirtlich das Land auch wirkte, es war Ursprung einer bemerkenswerten Zivilisation gewesen, an die sie sich jedoch kaum noch erinnerte. In mancher Gesteinsspalte lagen noch Relikte aus diesen alten Tagen, abgeschliffen und kaum noch als das erkennbar, was sie einstmals gewesen waren. In den Dolmengräbern und nahe der Obelisken hingegen hielten sich alte Geister versteckt. Solche, die selbst ihr gefährlich werden konnten. Sie tat gut daran, weiträumig auszuweichen.
Sie stieg an der östlichen Seite des Hügels wieder hinab und fand in einer Mulde Deckung. Hier hatte womöglich einmal ein Haus gestanden, gut geschützt vor dem böigen Wind, der oft zu einem verheerenden Sturm ausartete.
Terca entzündete ein Feuer, schöpfte aus einem nahe gelegenen Rinnsal Wasser, wusch sich Staub aus dem Gesicht und trank. Mithilfe ihres Langmessers fertigte sie mehrere Bratenspieße. Es war an der Zeit, dass Yankela zurückkehrte.
So intensiv wie möglich dachte sie an das untote Tier. Es würde reagieren, unwillig zwar, aber es würde sich auf den Weg machen. Terca erahnte, dass es bereits Beute geschlagen hatte. Ungewöhnlich fette Beute, wie sie zu spüren meinte.
»Die Jagd erfordert Ruhe und Ausdauer«, sagte Yankela, nachdem sie die Böschung überwunden hatte und in die Mulde herabgesprungen war. »Wann wirst du das endlich begreifen?«
»Das Jagdfieber hatte dich gepackt«, widersprach Terca. »Nicht mehr lange, dann hätte ich dich verloren, nicht wahr?«
»Ich bin nicht verpflichtet, die Wahrheit zu sagen.«
»O doch, bist du, Naseweis. Stell nicht andauernd Behauptungen auf, die nicht stimmen. Andernfalls …«
»Du drohst mir? Womöglich mit dem
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