Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Hexe. Meine Macht schreckt dich.«
»Natürlich tut sie das«, flüsterte Terca. »Ich sehe, wohin zu viel Macht führt. Sie bringt Wesen wie den Gottbettler hervor.«
»Aus!«
Rudynar Pole drehte sich erstaunt zur Seite, während Magicus und Hexe zusammenzuckten und sich wie unter Schmerzen wanden. Der Stumme Junge – er war es, der diesen verzweifelt klingenden Schrei ausgestoßen hatte!
»Ihr zerstört alles, wenn ihr so weitermacht«, sagte er mit piepsiger Stimme und zog die Kapuze weiter nach unten, um sicherzugehen, dass sie sein Gesicht verhüllte. Dann verfiel er wieder in dumpfes Brüten, als wäre alles gesagt.
Und so war es anscheinend auch. Denn Rudynar Pole verlor mit einem Mal jede Lust, auch nur ein Wort mit seinen Begleitern zu wechseln. Terca und Pirmen ritten Seite an Seite, die Flanken ihrer Tiere berührten sich beinahe. Beide wirkten sie verstört, und Rudynar Pole sah, wie ihnen beiden Tränen übers Gesicht liefen.
Das Grenzgebiet zur Enklave Mayeur breitete sich vor ihnen aus. Ein bewaldeter Hügel reihte sich an den nächsten. Das grüne Einerlei der Nadelbäume wurde von einem braunen Streifen unterbrochen, der gerodeten Grenzlinie, etwa eine Viertellaufe breit, die das kleine Land von seinem wesentlich größeren Nachbarn Aenas trennte. Hier und dort standen Zollhütten, verfallen und kaum genutzt. Rotwild röhrte laut, die Balzzeit hatte begonnen.
Die Enklave Mayeur, die von der Krämerseele Perpesole VIII . regiert wurde, hatte es über die Jahrzehnte hinweg verstanden, sich mit den Leuten des Gottbettlers zu arrangieren und sich damit zum Großteil aus dem Kriegsgeschehen hinauszuhalten.
Eine bewundernswerte Leistung, wie Rudynar Pole befand. Die Enklave, eingeklemmt zwischen der Blume von Oriath und den beiden Aenas-Teilen, war winzig wie ein Fliegenschiss. Folgte man den Hauptwegen, querte man das Land binnen zwei Tagen, und nahm man wie sie weniger frequentierte Straßen, beanspruchte der Ritt kaum doppelt so viel Zeit.
»Perpesole hat die Jugend seines Landes an den Gottbettler verkauft«, sagte Terca. »Jeden Monat schickt er hundert abenteuerhungrige Burschen und Mädchen den Truppen Metcairn Nifes hinterher. Sie werden dort ausgebildet und für fünf Jahre in den Dienst gestellt. Nicht einmal jeder Zehnte überlebt die Kämpfe an der Front und von diesen wiederum nur die Hälfte, ohne körperliche Schäden davonzutragen.«
»Warum erzählst du mir das alles, Frau Hexe?«, fragte Rudynar Pole. »Diese Dinge weiß ich besser als du.« Er war mit vielen Mayeuren geritten. Sie galten als unerschrocken und blauäugig, ideales Menschenmaterial für lebensgefährliche Einsätze.
»Ich möchte dir deine Schuld bewusst machen.« Terca deutete auf das hügelige Land ringsum, und er folgte mit seinem Blick den Gesten.
Der Boden war saftig und grün, alles wirkte friedlich. Eine geruhsame Beschaulichkeit lullte ihn und die anderen Reiter ein. »Wunderschön«, sagte er.
»Dieses Hügelland galt einstmals als Kornkammer Mayeurs und der angrenzenden Länder. Mittlerweile sind die Gehöfte verschwunden, verschluckt vom Grün der Sträucher und Bäume. Die Natur erobert sich die Gebiete zurück, die der Mensch ihr einst abtrotzte.«
»Und?« Rudynar Pole zuckte mit den Achseln. »Ich erkenne nichts Schlechtes daran.«
»Schon heute muss König Perpesole Getreide aus Süd-Aenas zukaufen und dafür seine Schatzkammern plündern. Das Land verarmt, weil es sich mangels Arbeitskräften nicht mehr selbst versorgen kann. Man hungert in den Dörfern. In drei Jahren wird die Armut das Bürgertum in den Städten erreichen, in fünf wird selbst der König seinen Gurt enger schnallen müssen. Und dann …«
»Ja?«
»Dann gibt es eine Revolution. Irgendjemand wird aufstehen, mit dem Finger auf König Perpesole deuten und lautstark fragen, was dieser pausbäckige Kerl mit dem Land angestellt hat. Einige werden ihm folgen, andere werden an den Sautrögen der Macht hängenbleiben. Bürgerkrieg ist die Folge, und damit ist das Stichwort für den Gottbettler gegeben. Metcairn Nifes Leute werden einmarschieren und die Enklave Mayeur befrieden . Mit Soldaten in ihren Reihen, die von hier stammen. Der Friedensvertrag, den der König mit den Unterhändlern des Gottbettlers geschlossen hat, ist die Tinte nicht wert, mit der die Unterschriften geleistet wurden, und so wird ein weiteres Land dem Reich des Gottbettlers einverleibt.«
»Das alles willst du jetzt schon wissen, Frau Terca?«, fragte
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