Der Gottbettler: Roman (German Edition)
durstiger machte. Händler boten mit Inbrunst ihre Waren an. Je lauter sie schrien, desto wahrscheinlicher war, dass sie betrogen. Sie hielten Schwerter in die Höhe, deren Griffe mit glitzernden Steinsplittern besetzt waren. Sie glitzerten und zogen die Aufmerksamkeit jener Einfaltspinsel auf sich, die noch nie im Feld gekämpft hatten und nicht wussten, dass die besten Waffen jene waren, die möglichst einfach gehalten waren. Es bedurfte keines Schmucks, keines Zierrats, keiner angeblich wertvollen Einlegearbeiten im Griff. Wichtig waren die Balance des Schwerts, die Qualität des Stahls und ein Gefühl, das sich einem aufdrängte, sobald man das richtige Arbeitsgerät in der Hand hielt.
»Ein Messer«, schrie ein hochgewachsener Betrüger, »das einstmals der Schildwache eines Königs gehörte!« Er hielt es possenhaft in die Höhe und ließ die Lichtreflexe der Fackeln darauf tanzen. »Es gehen Gerüchte, dass diese Waffe einstmals unseren vielgeliebten König Gulstivier vor dem Tod bewahrte, geschleudert von einem aufmerksamen Begleiter, der in der Menge der Jubelnden die falsch glänzenden Augen des Verräters-ohne-Namen entdeckte. Ja, ich könnte schwören, dass es dieses Messer war, das unseren Herrscher gerettet …«
»Du schwörst also bei deinem Leben?«, unterbrach Rudynar Pole den Händler. »Hast du denn keine Angst, dass dich ein Zornesblitz der Götter für deine Lügen strafen könnte?«
»Du zweifelst?« Der Händler drehte sich im Kreis. »Er zweifelt! Der Fremde beschmutzt das Andenken unseres heiligen Königs, Ururgroßvater unseres vielgeliebten Herrschers!«
»O nein, Herr Händler.« Rudynar Pole lächelte, obwohl ihm gar nicht danach war, denn er zog immer mehr Aufmerksamkeit auf sich. »Eure Könige sind außerordentliche Leute, ganz im Gegensatz zu einigen ihrer Bürger, die Scheiße als Edelsteine verkaufen wollen.«
Mit einem Mal herrschte Stille. Rings um ihn verstummten Krämer, Marktfrauen, Huren und Bänkelsänger, die bislang allesamt um die Aufmerksamkeit der Passanten gebuhlt hatten. Sie sahen ihn an. Irritiert, verwirrt oder zornig. Er musste weiterreden, rasch, bevor sich seine Situation weiter verschlechterte.
Er nahm dem Händler das Messer aus der Hand, wog es, begutachtete es und sagte dann: »Es ist schlecht ausbalanciert. Die Klinge ist stumpf und schartig. Der Holzkern des Griffs ist gebrochen, weil die Waffe seit geraumer Zeit nicht mehr gepflegt wurde. Mit diesem Ding wurde gewiss noch niemand verletzt oder gar getötet. Bestenfalls diente es dazu, Rockschürzen auseinanderzuschneiden, um seinen früheren Besitzer möglichst rasch ans Ziel seiner Wünsche zu bringen.«
»Und das alles möchtest du in den wenigen Sekunden erkannt haben, da du die Waffe hältst?« Der Lange gab sich selbstsicher, doch es war ihm anzusehen, dass er sich in die Verteidigung gedrängt fühlte. »Bist du etwa ein Meisterschmied? Weißt du mit dem Messer umzugehen?«
Rudynar Pole grinste. »Ich habe ein klein wenig Erfahrung damit. Da!« Er schleuderte die Klinge hoch in die Luft, sodass sie für eine Weile aus dem Lichterschein der Fackeln verschwand und die Passanten die Blicke nach oben richteten, blinzelten, ratlos suchten. Nach zwei, drei Sekunden war da ein Reflex. Rudynar Pole streckte seine Linke aus, fing das verdammte Ding wieder auf und wechselte es rasch in die Rechte. Grinsend, damit nur ja niemand bemerkte, dass er sich an der verfluchten Klinge geschnitten hatte. »Na gut, sie fliegt recht gut.«
»Also gibst du zu, dass …«
Der Lange verstummte. Er blickte an sich hinab, auf die Hose, die langsam an seinen dürren Beinen nach unten rutschte, nachdem Rudynar Pole mit seiner eigenen Klinge den Gürtel durch- und die Knöpfe abgeschnitten hatte, in diesen zwei Sekunden, da aller Aufmerksamkeit in die Höhe gerichtet gewesen war.
»Das ist eine gute Waffe«, sagte er und lächelte erneut. »Wäre sie es nicht, hättest du jetzt keine Eier mehr.«
Die Einwohner von Haime blieben eine Weile stumm, bevor sie lauthals loslachten, mit den Fingern auf den Händler zeigten und sich über den Halbnackten lustig machten. Sie klopften Rudynar Pole auf die Schultern, zogen und schoben ihn mit sich, zu jenen Häusern, in denen das Treiben besonders bunt war. In denen es nach Wein und Bier roch. Nach Unterhaltung, nach Gelächter und billiger Freude, nach angenehmer Entlastung seines schwer gewordenen Kopfs, der sich mit Gedanken an so viele Probleme gefüllt hatte. Er wollte
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