Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Rudynar Pole. »In dieser Geschichte gibt es so viele Unwägbarkeiten, dass es sich gar nicht lohnt, darüber zu diskutieren.«
»Ich erkenne die Zeichen und kann sie lesen«, sagte die Hexe geheimnisvoll.
»Ich muss der Wicca recht geben.« Pirmen rückte seinen Leib im Tragegestell zurecht. Er stöhnte unter den Schmerzen, die ihm die Riemen bereiteten, mit denen er daran festgebunden war. »Die Enklave ist bereits jetzt reif für den Fall. Wer weiß, ob es überhaupt noch fünf Jahre dauern wird, bis Metcairn Nife einen Grund sieht einzumarschieren. Mag sein, dass seine Agenten bereits im Land sind und die Unzufriedenheit schüren.«
»Metcairn Nife ist nicht so, wie ihr denkt!«, behauptete Rudynar Pole vehement. »Er treibt kein falsches Spiel! Er ist seinen Prinzipien trotz seiner Machtfülle immer treu geblieben. Intrigen und Ränkespiele widern ihn an, für Unehrlichkeit empfindet er Abscheu.«
»Was dies der Grund, warum du ihn im Stich gelassen hast?«, stichelte Terca. »Warst du nicht gut genug für ihn?«
Rudynar Pole musste an sich halten. Sie hatte kein Recht, so mit ihm und vor allem über ihn zu reden. Noch weniger gefiel es ihm, dass sie jene Wahrheit erkannte, die er immer wieder vor sich selbst zu leugnen versuchte.
Der Stumme Junge tat indes das, was er am besten konnte: Er schwieg. Er saß auf seinem Pferd und hatte den Kopf nach vorn gebeugt, als würde er schlafen. Ab und zu griff er in eine Satteltasche und holte Salatblätter hervor, die er langsam kaute.
»Ich bleibe dabei, dass das Land schön ist«, sagte Rudynar Pole, »idyllisch und friedlich.«
»Du wirst viel lernen müssen, möchtest du ein zweites Lebensjahrhundert erreichen.«
»Ich halte zunächst mal die Fünfzig im Blick. Irgendwann in den nächsten sieben Jahren sollte ich sie erreichen.« Er tastete über den Trinksack, den er am Sattelhorn festgemacht hatte. Er war prall gefüllt. Doch nicht etwa mit Saurem, sondern mit widerlichem, nach nichts schmeckendem Wasser.
Ihre Reittiere trotteten hinab in eine Senke und vorbei an Ruinen, die bereits überwuchert wurden und seltsamen Tieren mit langen Beinen sowie zweigeteilten Rüsseln als Versteck dienten. Schnurgerade Streifen zwischen üppig wachsendem Gras ließen ehemalige Raine erkennen. Entlang dieser Wege waren vor nicht allzu langer Zeit Bauern mit ihren Karren in beiden Richtungen gezogen, um die wintergefrorene Scholle zu brechen, zu säen, zu bewässern, Unkraut zu zupfen, Schädlinge zu vertreiben und letztlich die Ernte einzubringen. Tagaus, tagein, das Jahr hindurch, so lange, bis der Rücken krumm und die Gerste fett war.
Diese Zeiten waren vorbei, und so ungern Rudynar Pole seiner Begleiterin recht gab, die Bevölkerung der Enklave kämpfte auf verlorenem Posten. Die Menschen gaben über Generationen hinweg einstmals kultiviertes Land der Natur zurück, und sie würden dafür zahlen müssen.
»Noch ein Tagesritt bis Haime«, sagte er und deutete in Richtung der länger werdenden Schatten. »Ich kenne ein Dorf, in dem wir uns ausruhen und dem Tratsch über die Geschehnisse in der Blume von Oriath lauschen können.«
»Ich vermute, dass in diesem Dorf auch ein Wirtshaus zu finden ist?« Terca beäugte ihn misstrauisch.
»Wo, wenn nicht in einer Schänke, sollten wir uns über den Feind informieren?« Rudynar Pole leckte sich über die Lippen. »Nirgendwo sonst als im Rülpsenden Eber bekommt man für wenig Geld derart viel geboten.«
»Abgelehnt«, bestimmte die Hexe. »Wir dürfen uns keinesfalls in der Öffentlichkeit blicken lassen.«
»Aber …«
»Wir nächtigen heute in einer der Ruinen, und morgen quartieren wir uns am Rand der Stadt Haime irgendwo ein. Ich besorge die notwendigen Lebensmittel sowie Ausrüstungsgegenstände für die Weiterreise, ihr wartet indes auf mich.« Terca kicherte. »Es ist kaum zu glauben, ich falle weniger auf als ihr.«
»Wir benötigen Informationen«, startete Rudynar Pole einen neuerlichen Versuch. »Wir müssen in Erfahrung bringen, was uns in der Blume von Oriath erwartet, und womöglich weiß man auch etwas über die Bewegungen des Heeres des Gottbettlers.«
»Ich kümmere mich darum. Es geschieht so, wie ich es sage. Oder, Pirmen?«
»Ich lasse mir von dir nichts befehlen«, sagte der Magicus, wirkte allerdings unsicher. »Andererseits sollten wir nicht ausschließen, dass sich die Prophezeiung deiner … Schwester bewahrheiten könnte. Der Hohe Herr ist ein klein wenig zu begierig darauf, den Wirts- und
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