Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Terca schüttelte den Kopf. »Er widersteht den Gaben der Magicae und der Hexen. Er ist etwas, das nicht sein darf.«
»Du und Gafelay – dachtet ihr jemals daran, Kinder in die Welt zu setzen?« Pirmen zog sich den einen Schuh an und wehrte Tercas Versuche, ihm auch dabei zu helfen, unwirsch ab.
»Nein. Ja. Vielleicht.« Die Frau starrte vor sich hin, in eine Weite, die keinen Horizont hatte. »Wir hatten Pläne. Aber wir konnten sie niemals verwirklichen.«
Seltsam. Es gab Momente, da wirkte Terca zerbrechlich und angreifbar. Gar nicht so, wie man sich eine Hexe vorstellte. Dann fand er sie sympathisch und hätte ihr gern geholfen. Doch stets dann, wenn er meinte, eine Gesprächsbasis mit ihr gefunden zu haben, zeigte sie ihr wahres Gesicht, das einer bösen, alten Frau. Sie machte sich über ihn lustig oder brachte eine der vielen anderen schlechten Eigenschaften hervor, die ihr anhafteten.
Die guten Momente wurden weniger, je länger sie beisammen waren. Sie entfernten sich voneinander. Terca warf ihm vor, dass dies mit seinen Verstümmelungen zu tun hatte. Doch in Wirklichkeit war sie es, die sich von ihm wegbewegte.
»Also komm!« Sie zog ihn schwungvoll auf die Beine, beziehungsweise auf das Bein. »Sieh dich draußen um. Ich kümmere mich indes um den Stummen Jungen.«
»Du willst ihn mitnehmen? In die Stadt?«
»Möchtest du ihn etwa hierlassen?«
»Nein, aber …«
»Ich könnte Rudynar Pole allein suchen gehen, und du passt indes auf den Jungen auf.«
»Niemals! Ich …« Pirmen brach ab. Er wollte nicht über das Misstrauen sprechen, das er der Hexe gegenüber empfand. Womöglich war dies eine abgekartete Sache, und sie sowie Rudynar Pole wollten ihn bloß geschickt aus dem Spiel nehmen. Aus einem Spiel, das er nicht durchschaute, das niemand durchschaute. Das das Zusammentreffen mit einem gottähnlichen Wesen zum Ziel hatte.
Was dachte er nach, warum zögerte er so lange? Plötzlich fühlte Pirmen den Druck, der auf ihnen lastete. Sie mussten Rudynar Pole finden, so rasch wie möglich!
Er öffnete die Stalltür. Sie quietschte. Ein Knecht schnarchte unter dem Vordach. Er drehte sich einmal um, knurrte einen Fluch und schlief dann weiter.
Pirmen humpelte davon. Er wartete nicht auf die alte Vettel. Er fühlte sich vom Fackelschein angezogen, der die Häuser der Stadt wie eine Glocke einfasste. War es das, was den Hohen Herrn lockte? Wollte er endlich wieder mal im Licht stehen, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, nach all der Zeit, die er in der Dunkelheit zugebracht hatte?
Er hörte Terca hinter sich keuchen. Sie folgte ihm, mit dem Stummen Jungen im Schlepp. Mühelos holte sie ihn ein, ihn, der noch vor einem Jahr der flinkste Lehrling innerhalb der Mauern der Magicae in Griam gewesen war. Sie setzte sich an die Spitze des kleinen Zugs, ihr stummer Begleiter folgte ihr wie ein Hund.
Verfluchtes Weib! Am liebsten würde ich ihr die Beine abhacken und sie hier im Schweinedreck verbluten lassen!
Woher kamen bloß diese Gefühlsaufwallungen? Schrecklicher Zorn stieg von Zeit zu Zeit in ihm auf und machte, dass er alles rings um sich vergaß und nichts anderes tun wollte, als Schmerz zu verbreiten. Er wollte all das, was in ihm tobte, nach außen ableiten und sich selbst dadurch für ein paar Sekunden Erleichterung verschaffen. Terca – war sie nicht das ideale Ziel für ihn?
»Lass es bleiben«, sagte sie, ohne sich nach ihm umzudrehen. »Ich fühle, was du vorhast.«
»Ach ja? Und wie, wenn ich fragen darf?« Pirmens Herz schlug schneller. Hatte sie Zugriff auf seine Gedankenwelt? Man hatte ihn gelehrt, dass manche Hexen in ein Gegenüber kriechen und ihm sagen konnten, was es tun und lassen sollte.
Terca blieb ihm eine Antwort schuldig. »Konzentrier dich gefälligst auf die Suche nach Rudynar Pole! Wenn wir zusammenarbeiten, können wir ihn rascher ausmachen.«
Die Lichter kamen näher, mehr und mehr Leute bevölkerten die Straßen. Alles sah schäbig aus, und dennoch verhielten sich die Einwohner Haimes so, als wäre dieses Kuhnest der Mittelpunkt der zivilisierten Welt.
»Er ging hier entlang«, sagte Pirmen, ohne zu wissen, woher dieser Gedanke kam. Er deutete auf eine Frau, die mit ihrem Körper gegen eine Hauswand gelehnt dastand und von einem besoffenen Bürger von hinten genommen wurde. Ihr Stöhnen klang gelangweilt. Sie ließ ihren Arsch kreisen und tat all das, was notwendig war, damit der Kunde so rasch wie möglich kam.
»Hat er’s mit ihr getrieben? Könnte sie
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