Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Attamay atmete tief durch. Diese Geruchswolke, die ihn umgab, betörte ihn. Sie stand nicht nur für eine beruhigend gute Ernte, sondern auch für ein wenig Wohlstand, der es ihm und den anderen Bewohnern Amstades erlauben würde, dringende Arbeiten am Gemeinschaftshaus durchführen zu lassen und den Göttern mithilfe reichhaltiger Opfergaben zu danken.
Herr Attamay klopfte seinem Jüngsten kräftig auf die Schulter. »Sieh zu, dass du dich nützlich machst.«
»Ja, Vater«, sagte der junge Herr Dy, wortkarg wie immer, und reihte sich in die Schlange an der Werkzeugausgabe ein.
Herr Attamay indes zog Tier Bulbar hinter sich her, seinen stärksten Bullen, hin zu den anderen Furchenziehern. Er würde ihn während der Erntetage schinden und ihm das Letzte abverlangen. Um Tier Bulbar anschließend den Herbst- und Winterweiden zu überlassen. Es würde in die Berge stapfen und dort für Dutzende Nachkommen sorgen, um im Frühjahr bereit zu sein für neue schwere Arbeit.
So war der Lauf der Dinge. So war es immer gewesen, und so würde es noch sein, wenn die Götter versteinerten und in Bruchstücke zerfielen.
»Dieser Tag ist so schön, dass ich sterben könnte«, sagte der stets gut gelaunte Herr Rudynar Pole. »Nicht dass ich’s mir wünschte …«
»Dann rede nicht derartigen Unsinn daher!«, fuhr Attamay seinen Freund an. »Der Tod hat feine Ohren. Er mag deinen Wunsch rascher erhören, als dir lieb ist. Nicht dass wir es bedauern würden. Dutzende Frauen wären auf einmal befreit vor all ihren Ängsten, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit zum Brunnen gehen, um Wasser zu schöpfen. Sie müssten nicht mehr befürchten, von deiner hässlichen Visage erschreckt zu werden.«
»Wenn du bloß wüsstest, wie sehnsüchtig die Jungen und die Alten, die Dorfwitwen, die Unbefriedigten und die Lüsternen beim Fluss auf mich warten. Um von mir zu kosten. Um meine Stärke zu spüren. Um sich während der kalten Wintermonate an einen wärmenden Körper erinnern zu können.«
»Hör endlich auf zu schwätzen, elender Herumtreiber, und hilf mir mit diesem verdammten Vieh!« Herr Attamay reichte Herrn Pole eine der Zügelketten des Tiers Bulbar.
»Das ist ja ein Kerl! Seine Murmeln sind fast so groß wie meine!« Der Freund entblößte ein fehlerhaftes Gebiss und deutete auf das wackelnde Hinterteil des Bullen. »Ich glaube kaum, dass wir beide Freunde werden. Wir sind zu sehr Rivalen.«
»Ach, halt dein Schandmaul! – Würde dich die Aussicht an einen Weinhumpen dazu bringen, endlich mit der Arbeit zu beginnen? Ich gebe ihn aus – heute Abend.«
»Na also, Herr Attamay! Ich dachte schon, du würdest völlig vergessen, mich ausreichend zu bestechen. Immerhin habe ich auch noch andere Arbeit zu erledigen.«
»Ja, ja. Der Dame Livgray sanfte Liebesworte ins Ohr zu flüstern und sie glauben zu machen, dass sie die Einzige wäre, die ihren fetten Hintern auf deinem Schoß niederlassen darf.«
»Ach, sie ist die Einzige. Zumindest heute. Es gibt zu viele eifersüchtige Ehemänner auf diesem sonst so paradiesischen Flecken.« Herr Rudynar Pole zog an der Kette und zwinkerte fröhlich. Tier Bulbar setzte sich laut röhrend in Bewegung, während sein Zieher tief durchatmete. Die beiden würden für ihr Abendbrot hart schuften müssen, und beide wussten es. Zudem kam es in diesem Gemenge aus Tierleibern, schwitzenden Menschen, gewaltigen Staubwolken, mannsdicken Getreidegarben, tiefen Furchen und riesigen Erdklumpen Jahr für Jahr zu schrecklichen Unglücksfällen.
Herr Attamay sah ihm nach. Warum bloß vertraute er diesem liederlichen Herumtreiber so sehr? War es die gemeinsam verbrachte Jugend, die gemeinsam erlebten Abenteuer in Ländern, weit weg von hier? – Herr Rudynar Pole war in Amstade gefürchtet, in manchen Häusern gar geächtet. Er kannte keinerlei Respekt vor der Ehre einer Frau. Er soff, er hurte, er nutzte die Cant-Pfeife, und die Münzen, die er sich durch Gelegenheitsarbeiten verdiente, blieben stets nur für kurze Zeit in seinen Taschen.
Und dennoch, er war Herrn Attamays bester und auch treuester Freund. Derjenige, dem er sein Leben bedingungslos anvertrauen würde.
Das Morgenhorn ertönte. Der Junge Bastwain erhob seine Stimme als Erster, wie immer. Die meisten Männer fielen ein. Der Singsang hielt die heimtückischsten Tiere aus den Höhen davon ab, die Felder aufzusuchen. Muskeln und Sehnen glänzten in der frühen Sonne, nackte Rücken beugten sich, bald von Schweiß bedeckt. Manche Frauen
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