Der Gottbettler: Roman (German Edition)
einer davon reicht, um dich aufzuschlitzen.«
Er fühlte die Klinge einer Waffe in seinem Rücken. Nein, er war wahrlich nicht vom Glück verfolgt.
»Lass den Dolch fallen. Beweg dich ganz langsam. Versuch ja nicht, tapfer zu sein. Schon mein erster Stich würde in die Tiefe führen, vom Rücken abwärts, um deine Gedärme aufzuschlitzen und deine Eier von innen zu kitzeln.« Der Atem des anderen roch selbst gegen den Wind so erbärmlich wie die Stadtkloake von Griam.
»Glaub mir, Tapferkeit ist für mich ein Fremdwort«, behauptete Pirmen und ließ den Dolch aus seiner Hand gleiten.
»Woran liegt es wohl, dass ich dir glaube?« Der andere hob die Waffe auf und murmelte dann: »Selbst der größte Narr würde bei einem Wetter wie diesem nicht den Schutz seines Hauses verlassen.«
»Da sind wir schon zwei Narren, nicht wahr?«
»Dieser Ehrentitel bleibt dir ganz allein, Freund . Wenn man kein Haus und auch keinen Unterschlupf hat, bleiben einem kaum andere Möglichkeiten, als im Schnee auf den Tod zu warten. Oder auf einen Verrückten wie dich.«
Pirmen erkannte, dass der Mann statt eines Obergewands mehrere grob genähte Säcke übereinander trug. Die Hände hatte er mit Tüchern umwickelt. Mehr konnte Pirmen von dem anderen nicht sehen, denn der stand noch immer in seinem Rücken. Dann aber spürte er die Klinge nicht mehr und hörte leise knirschende Stritte. Der andere musste von ihm zurückgewichen sein.
»Du kannst dich jetzt umdrehen. Aber immer schön langsam.«
Pirmen gehorchte. Er fühlte kaum Angst. Eben noch hatte er befürchten müssen zu erfrieren. Die Aussicht auf einen raschen Tod durch eine Klinge war im Grunde sogar eine Verbesserung seiner Situation.
Er starrte das Häufchen Elend an, das sich vor ihm mühsam auf den Beinen hielt. Er hatte die Kreatur aus der Entfernung für einen Fleck Erde gehalten. Es war das kaum noch menschlich zu nennende Wesen, das er im Störrischen Ochsen zu Gesicht bekommen hatte. Es hielt seinen Dolch in der Hand. Den Mittelfinger seiner Linken hielt er weit ausgestreckt.
Er kicherte. »Da ist jemand noch dümmer, als er bislang geglaubt hat. Er hat einen ungepflegten Nagel an einem ungepflegten Finger an einer ungepflegten Hand für die Spitze einer Waffe gehalten.«
»Ich kenne dich«, sagte Pirmen, ohne den Spott des anderen zu beachten.
»Ein hübsches Gesicht wie meines vergisst man nicht so rasch, Herr Reisender. Aber ich wüsste nicht, dass wir uns schon über den Weg gelaufen wären. Im Übrigen interessiert es mich auch einen Scheiß. Sag, hast du was zu trinken bei dir? Wein? Ein wenig vom Sauren? Oder Schnaps?«
»Der Bettler. Der Latrinenputzer. Der … Hohe Herr.«
»Drei Ehrentitel, die ich mir an die Brust heften darf. Und einer ist schöner als der andere. Also wie sieht’s aus? Hast du was zu saufen? Antwortest du mir, oder muss ich selbst nachsehen, nachdem ich dich abgestochen habe?«
»Ein Hoher Herr, so habe ich mir sagen lassen, legt besonderen Wert auf seine Ehre. Er würde niemals einem Wehrlosen etwas antun.«
»Spar dir die Weisheiten, Jungchen!« Der Bettler spuckte Geifer, seine Augen rollten wie wild in den Höhlen. »Ich habe Durst! Verdammten Durst!«
Pirmen streckte beschwichtigend seine Hände aus. »Ist schon gut, Hoher Herr. Ich habe nichts bei mir. Aber ich könnte etwas brauen. Du musst mir bloß helfen, ein Feuer zu entzünden. Ein wenig Wärme könnte uns übrigens beiden nicht schaden.«
»Belüg mich nicht! Die Bierbrauerei und die Schnapsbrennerei sind Künste, die Geduld und viel Zeit erfordern. Möchtest du in dieser verfluchten Kälte etwa ein Wunder vollbringen? Dazu müsstest du zaubern können.«
»Ich … bin ein Magicus. Ich vollbringe Wunder, sollte es notwendig sein.«
Pirmens Gegenüber lachte und fuchtelte wild mit der Klinge herum. »Mach dich nicht lächerlich, Kleiner! Magicae sehen ganz anders aus. Sie kriechen oder humpeln oder zittern, das bringt ihr Leben so mit sich. Du aber scheinst mir völlig gesund. Im Übrigen weiß man, dass es in der Norde keinen dieser verdammten Krüppel mehr gibt, dafür hat der Gottbettler gesorgt.«
»Ich stamme aus Aenas’ Süden, und ich bin im Oceanicum Griam aufgewachsen, im Turm des weisen Meisters Larex.«
»Du bist zu jung, um ein Magicus zu sein«, beharrte der andere.
»Ich befinde mich noch in der Ausbildung und …«
»Ah! Damit kommen wir der Wahrheit schon näher. Du hattest ein paar Wochen oder Monate Unterricht bei deinem Meister, bist
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