Der Gottbettler: Roman (German Edition)
blieb stehen. Er bückte sich, griff nach der Pferdescheiße und verrieb sie sich auf den Wangen. Ein prickelndes, leicht hitzendes Gefühl breitete sich dort aus. Es packte Nase und Stirn, es ließ ihn ein klein wenig freier denken.
Feuer. Ich muss einen geschützten Platz finden und ein Feuer entzünden.
Pirmen starrte auf die schmutzstarrenden Handschuhe. Seine Finger waren steif gefroren. Nutzlos angesichts einer Aufgabe, die ihm Gefühl und Geschick abverlangen würde. Aber er musste es versuchen. Sein Leben hing davon ab.
Er blickte sich um. Nahe einer Baumgruppe hatte sich Schnee meterhoch aufgetürmt. Die Wechte bot einen natürlichen Schutz vor dem Wind, das Gestrüpp ringsum bot ihm ausreichend Feuerholz, und der schwarzgraue Fleck vor den Bäumen deutete darauf hin, dass dort womöglich ein kleines Stückchen Erde von all dem Schnee unberührt geblieben war.
»Palias Aquerta, hilf mir«, murmelte er, nicht zum ersten Mal an diesem Tag, und schon die Nennung des Namens machte, dass sich Pirmen ein klein wenig besser fühlte. Er griff nach Stellex’ Zügeln und führte das Tier auf sein Ziel zu. Es gehorchte zögernd und wieherte schrill. Unter anderen Umständen hätte er den gut ausgeprägten Instinkten der Stute vertraut und wäre zurückgewichen. Doch nicht hier, nicht jetzt.
Er stapfte durch den Schnee. Seine kniehohen Stiefel verschwanden mit jedem Schritt zur Gänze in dem grässlichen Weiß; manchmal fühlte er die Kälte des Schnees sogar bis zu den Eiern hoch. Die Spur, die er hinterließ, Löcher inmitten eines frostigen Einerleis, würden nicht lange bestehen bleiben, der wütend pfeifende Wind würde sie schnell wieder zudecken.
Der Sturm frischte weiter auf, als wollte er verhindern, dass Pirmen sein Ziel erreichte. Er stemmte den Körper gegen den Wind. Auch Stellex litt unter den Bedingungen, trotz des dicken Winterfells, das ihr während der letzten Monate gewachsen war.
Nur noch wenige Schritte. Die Tannen ragten vor ihm auf wie Stelen aus uralten Zeiten, der Wind verlor abrupt an Schwung, und beinahe wäre Pirmen nach vorn gestürzt, plötzlich von allem Widerstand erlöst.
Die Wechte war mehr als eine Mannslänge hoch und fast zwei breit, die Innenseite vereist und leicht überhängend. Wie auch immer dieses Wunder der Natur zustande gekommen war, es scherte ihn nicht. Er nahm es hin und gratulierte sich zu seiner Entscheidung, zumal bereits die Dämmerung nahte. Wäre er auch nur zwei oder drei Lauf weitermarschiert, wäre er von der Dunkelheit überrascht worden, und der Tod wäre ihm gewiss gewesen.
Pirmen hustete und spuckte gelbroten Schleim in den Schnee. Noch immer war sein weiteres Schicksal mehr als ungewiss. Er musste Holz sammeln, die Blutzirkulation in seinen Gliedern wieder in Gang bringen und irgendwie das Feuer entzünden. Angesichts der rotblau angelaufenen Finger und der Blasen auf den Kuppen erschien ihm das jedoch nahezu unmöglich.
»Das Wichtigste an einer großen Tat ist stets, den ersten Schritt zu tun«, hatte ihn Larex in einer seiner Lektionen gelehrt, und diese Weisheit ließ sich wohl auf jede Lebenslage anwenden. Pirmen zog das Langmesser aus seinem Gurt und schloss mit der einen Hand die Finger der anderen um den Griff. Die Sträucher ringsum wirkten zäh und biegsam und waren mit Dornen besetzt. Fast alles in der Norde hatte Dornen, die stachen und aufritzten oder sogar vergifteten. Doch das feuchte Niederholz war besser als nichts. Ein rauchendes und nasses Feuer war immer noch ein Feuer.
Pirmen drückte Stellex so nahe wie möglich an die Schneewechte. Die Flanken des Tiers zitterten, sonst blieb es ruhig. Der Lehrling betrachtete es nachdenklich, und zu seinem Erschrecken erwiderte die Stute seinen Blick, und das auf eine Weise, als würde Stellex sein Vorhaben durchschauen. Sie hatte ihn brav durch die Norde und andere Länder getragen. Nun sollte sie ihr Leben verlieren, um seines zu bewahren.
»Du solltest deine Götter anrufen, so du dir welche in deinem kleinen, dummen Hirn erträumen kannst«, sagte Pirmen mit heiserer Stimme. »Wenn es mir nicht gelingt, ein Feuer zu entzünden, werde ich dich aufschlitzen und in deinem Bauch schlafen müssen.« Er streichelte Stellex hinter den Ohren und ließ sie das Messer sehen. »Ich würde es sehr bedauern. Aber nenn mir einen Grund, warum ich dich schonen sollte, sodass wir dann beide erfrieren.«
»Ich kenne mindestens zwanzig«, sagte eine tiefe, brummige Stimme hinter Pirmen. »Und schon
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