Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Wesen, die ihre Arme verlangend ausstreckten. Sie umarmten einander, fanden in Vereinigung zueinander, trennten sich wieder, um ihr Spiel gleich darauf erneut zu beginnen. »Wohl die seltsamste, die jemals zustande gekommen ist.«
Der Hohe Herr trat unvermittelt gegen Pirmens Waffe und prellte sie ihm aus der Hand. So rasch und so zielgerichtet, dass Pirmen ahnte, welch schrecklicher Krieger dieses verlauste Häufchen Elend einmal gewesen sein musste.
Der Söldner nahm die Waffe blitzschnell auf und sprach weiter: »Wir hatten in dieser Nacht etwas, das weit übers Ficken hinausging. Es erfasste uns beide mit all unseren Sinnen. Wir gaben und wir nahmen. Wir tauschten uns aus, auf eine Weise, die selbst ein Schönsprecher wie du nicht in Worte fassen kann.«
»Ihr hattet nur diese eine Nacht?« Pirmen betastete sein Handgelenk. Es war taub. Der Hohe Herr ragte vor ihm auf, ein hässliches Monument, noch dazu mit einer mörderisch scharfen Klinge in der Hand.
»Wir hatten viele Nächte. Es dauerte einige Zeit, bis wir voneinander genug hatten. Doch irgendwann war es vorbei. Es traf uns plötzlich und unvorbereitet. Wir sahen uns und wussten, dass wir auseinandergehen mussten.«
»Habt ihr darüber geredet?«
»Sibyllen reden nicht. Sie vermitteln sich auf eine andere Weise.«
»Indem sie dir ihre Worte in den Kopf setzte?«
»Das – und einige andere Sachen mehr«, antwortete der Hohe Herr. »Sie ließ mich wissen, dass sie mich töten müsste, würden wir uns noch einmal sehen. Ich sollte die Heerscharen des Gottbettlers so rasch wie möglich verlassen, sonst würde sie mich in der nächsten Nacht aufsuchen und mich dafür zur Rechenschaft ziehen, was ich ihr angetan hätte.«
»So sind sie, die Frauen«, wagte Pirmen zu scherzen.
»So sind sie, richtig.« Die Stimme des Hohen Herrn bekam einen wehmütigen Klang. »Doch bevor wir uns trennten, gab sie mir einen Kuss. Er schmeckte nach Leidenschaft, Liebe, Verzweiflung, Hass und Wildheit. Und er hinterließ etwas in mir, das ich nicht verstehe. Eine Art … Sehnsucht.«
Die richtige Spur … Ich habe sie gefunden!
»Du spürst diese Sehnsucht heute noch?«
»Stärker als jemals zuvor, und je mehr ich dieses verfluchte Weibsbild zu vergessen versuche, desto heftiger suchen mich die Erinnerungen heim. Was für eine Scheiße.«
»War da noch mehr?«
»Bevor sie sich umdrehte und mich verließ, küsste sie meine Augen. Ich hatte das Gefühl, als würden sie einfrieren und gleichermaßen schmelzen. Drei Tage lang war ich nahezu blind. Über allem, das ich schemenhaft erkennen konnte, hingen goldene Wolken.« Der Hohe Herr, bislang in seinen Erinnerungen gefangen, kehrte in die Gegenwart zurück und zeigte ein wölfisches Grinsen. »Was soll ich nun mit dir anfangen? Darauf vertrauen, dass das nächste Habanea, das du anmischst, frei von irgendwelchen Giften ist?«
»Wir können uns wohl gegenseitig nicht vertrauen.« Pirmen schlug das Herz bis zum Hals. Dieser Kerl mochte ein widerlicher Feigling und Latrinenputzer sein. Doch er verfügte über körperliche Kräfte, die weit über die seinen hinausgingen – und er war ein Kämpe, dem selbst die miesesten Tricks geläufig waren. Noch einmal würde es Pirmen nicht gelingen, ihn hereinlegen.
»Nein.« Der Hohe Herr lachte dröhnend, streckte die Pranke nach ihm aus und zog ihn mit einem Ruck hoch. »Ich hatte in meinem Leben bestenfalls eine Handvoll Kameraden an meiner Seite, denen ich weiter als bis zur Spitze ihres Schwanzes trauen konnte. Und eigentlich nur einen einzigen, den ich Freund nennen durfte.«
»Was soll das heißen?«, krächzte Pirmen. Der Hohe Herr hielt ihn am Hals gepackt und schüttelte ihn wie einen Obstbaum.
»Dass du mich bei Laune halten solltest, Herr Lehrling. Dann bleibe ich eine Weile in deiner Nähe.«
»Du meinst, in der Nähe des Habanea.«
»Du bist ein schlaues Bürschchen.«
»Würdest du mich … bitte loslassen? Mein Hals … keine Luft …«
»Oh, Verzeihung.«
Der Hohe Herr schubste ihn achtlos beiseite, Pirmen krachte mit dem Rücken gegen die vereiste Schneewächte und rutschte daran zu Boden. Atemlos sah er zu, wie der ehemalige Krieger den Rest des Habaneas austrank und sich dann über seine Essensvorräte hermachte.
»Wie sieht’s mit einer Belohnung aus?«, fragte er laut schmatzend.
»Wie bitte?«
»Du hast nach mir gesucht. Du benötigst meine Hilfe, für was auch immer. Irgendetwas mit einem stummen Jungen, nicht
Weitere Kostenlose Bücher