Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Abzweigung hinein in den dunklen Spalt, keine drei Mannslängen breit, der noch schmäler wurde, bevor er sich wieder verbreiterte und den Blick auf ein Anwesen gewährte, das scheinbar in die Luft gesetzt worden war. Erst beim näheren Hinsehen waren die dünnen Schnüre zu erkennen, die, einem Netz gleich, unter dem Anwesen gespannt waren. Sie und einige starke Seile, an denen die Eckpfosten des Hauses vertäut waren, trugen das gewaltige Bauwerk aus Stein und Holz.
Terca folgte dem Weg. Sie kümmerte sich nicht länger um ihre Begleiter, die unter dem Gewicht der schweren Rüstungen schnauften. Nun, da das Ziel erreicht war, fand sie zu all ihrer Selbstsicherheit zurück – und ihr Zorn wuchs. Wie hatte der Weinhändler es wagen können, sie entführen zu lassen?
Ein Mann trat aus dem Haus und auf die Holzbrücke, die zum Pfad führte, den sie eben entlangging. Er nahm sie nicht wahr, streckte die kurzen Arme in die Luft, gähnend, kratzte sich an den Eiern und pinkelte dann von der Brücke in die Tiefe. Er furzte und gab andere Geräusche von sich, die darauf schließen ließen, dass er sich nicht sonderlich gesund ernährte.
Terca blieb stehen und wartete, bis der andere fertig war, bevor sie sagte: »Pero Krotvie, wie er leibt und lebt! Ein stattlicher Mann, ein Ausbund an Eleganz. So war es zumindest mal, vor vielen Jahren.«
Der Dicke schüttelte ab und drehte sich zu ihr um, seinen Schwanz langsam und ohne Schamgefühl unter dem Nachtrock verbergend. »Die alte Hexe! Schön, dass du meiner Einladung gefolgt bist!« Er breitete die Arme aus, als wollte er Terca umarmen. »Wie geht es dir, meine Schöne?«
»Wie soll’s mir schon gehen, Pero? Das Alter zeichnet mir Falten ins Gesicht und lässt den Körper erschlaffen. Aber was soll ich dir das erzählen, du hast deine besten Jahre auch längst hinter dir.«
»Mit dem Unterschied, dass ich bestenfalls drei gute Dezennien hatte. Über dich munkelt man hingegen, dass du seit der Stadtgründung hier lebst.«
»Man munkelt vieles, wie du weißt.«
»Vielleicht könntest du uns dann aufklären, was Wahrheit und was Gerücht ist?«
»Wer ist wir ?«
»Ich und einige Freunde.« Pero Krotvie schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Was bin ich bloß für ein schlechter Gastgeber! Darf ich dich in mein bescheidenes Heim bitten?« Er trat mit kurzen Schritten auf sie zu, schüttelte Nässe von seiner Rechten und nahm sie bei der Hand. »Du wirst mir doch nicht den Wunsch nach einem gemeinsamen Frühstück abschlagen?«
»Natürlich nicht«, antwortete Terca, die Fren Hossa unmittelbar hinter sich wusste. »Wenn ich schon so freundlich gebeten werde …«
»Na also!« Der Weinhändler lachte dröhnend. »Ach, es ist schön, eine Freundin so völlig unerwartet wiederzusehen! Wie lange ist es her, dass wir beide einander zuletzt begegnet sind?«
»Abgesehen von den Gelegenheiten, da du in der Unterstadt warst, inkognito, wie du es bezeichnen würdest, um herumzuhuren und mich geflissentlich zu ignorieren, sobald wir uns über den Weg liefen?«
»Ach, du weißt doch, wie das ist mit der Politik, Terca. Würde ich mich an deiner Seite in der Öffentlichkeit blicken lassen, würde in den Gerüchteküchen ordentlich umgerührt werden. Mein guter Ruf wäre rasch dahin – und deiner ebenso.« Neuerliches Gelächter. Pero Krotvie hatte schon immer ein seltsames Verhältnis zum Humor gehabt.
Der Boden unter Tercas Füßen schwankte, als sie das Haus betrat. Es war ein unangenehmes, ein angsterregendes Gefühl. Ihr Gastgeber hingegen bewegte sich mit der Selbstsicherheit eines Menschen, der nichts anderes gewohnt war.
Weitere Wächter warteten. Grimmige, muskelbepackte Kerle, zweifelsfrei solche, die einen Menschen mit derselben Gleichgültigkeit töteten, wie sie Ameisen zertraten. Fren Hossa und seine Leute blieben vor dem Eingangstor zurück. Auch sie misstrauten dem Seil- und Gitterwerk, das Pero Krotvies Haus in der Schwebe hielt.
»Wo sind deine bezaubernden Töchter?«, fragte Terca.
»Du verstehst dich immer noch ausgezeichnet auf das Spiel mit Worten und Schmeicheleien. Soweit ich mich erinnern kann, hättest du meine Kinderchen gern am nächsten Baum aufgeknüpft.«
»Das sind alte Geschichten. Ich bin im Laufe der Jahre milder geworden.«
»Milde war stets ein Fremdwort für dich, Terca. Sie haben dich bekämpft, als du den Platz ihrer Mutter an meiner Seite einnahmst. Ich glaube nicht, dass du diese alten Geschichten vergessen
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