Der Gottbettler: Roman (German Edition)
Phantasmagorien wie diesen. Sie kannte ihre Traumwelten, und sie wusste sogar im Schlaf, dass diese Bilder Bedeutung hatten. Es war müßig, sich gegen sie aufzulehnen. Sie drängten sich Terca auf, als würde eine fremde, unbekannte Macht sie ihr übermitteln. Als wollte jemand, dass sie dies alles sah und ihre eigenen Schlüsse zog.
Der Schakal zerriss einen weiteren Menschen. Er schleuderte die blutigen Fetzen hoch in die Luft und fing sie mit dem Maul wieder auf. Das Tier war von einer Wut besessen, wie Terca sie niemals zuvor erlebt oder gesehen hatte.
Indes gingen die Kämpfe weiter. Mensch gegen Mensch, Hoboke gegen Vertreter des Kleinen Volkes, Marchtrite gegen Sandinisches Schlangenwesen. Die Kämpfenden kamen aus aller Herren Länder, aus der südlichen wie aus der nördlichen Hemisphäre. Sie kämpften kalt, leidenschaftslos, heißblütig, gezielt, wie Verrückte, im Wahnsinn verhangen oder lächelnd. Das gesamte Weltenrund und deren Vertreter schienen in der Schlacht aufeinanderzutreffen. Sogar ein Wesen aus dem fernen Osten war auszumachen. Es teilte blitzschnelle Hiebe mit seinem Krummsäbel aus und verschwand dann wieder, indem es sich als Schatten an einen der Überlebenden anheftete und dort verharrte.
Irgendetwas störte Terca an diesem Bild. Es war nicht vollständig, doch in ihrem Traum vermochte sie nicht zu erfassen, wer oder was fehlte.
Die Vision wurde undeutlich, die Farben und die Töne verloren an Kraft. Die Herrin der Unterstadt fühlte, wie sie in die Realität zurückgerufen wurde, um, wie sie wusste, laut schreiend, schwitzend und womöglich von oben bis unten nass vom eigenen Urin aufzuwachen. Sie hasste diese Augenblicke – und die Stunden danach, da sie, von den Bildern geplagt, damit beschäftigt war, das Gesehene zu begreifen und in klare Gedanken umzusetzen.
Terca schrie. Alles tat weh. Sie wälzte sich hin und her, von schrecklichen Kopfschmerzen geplagt, mit Feuer im Leib, von Messerstichen durchbohrt. Sie schlug um sich, als könnte sie dadurch die Trugbilder abwehren und wieder vergessen.
Und sie traf auf Widerstand. Jemand schrie und fluchte dann laut.
Terca öffnete die Augen. Sie war umringt von Menschen, die sie an den Armen und Beinen hielten und die Uniformen der Oberstadt trugen. Söldner, die sich in den Diensten der Reichen verdingten. Eine Hand legte sich ihr auf den Mund, sie biss zu. Der Mann brüllte auf und zuckte zurück, ein anderer nahm seinen Platz ein. Terca erhielt einen Schlag ins Gesicht und die ruhig gebrummte Mahnung: »Lass es bleiben, Terca. Lass uns diese Angelegenheit so ruhig wie möglich hinter uns bringen.«
Noch immer war ein Teil ihres Geistes in dem Traum gefangen. Der Schakal starrte sie an, mit weit aufgerissenem Maul und blutigen Augen, so als wäre er sich Tercas Anwesenheit eben bewusst geworden und wollte sie aus den Traumbildern in die Wirklichkeit verfolgen …
Terca riss die Arme hoch. Söldner hielten sie fest, und als der Schakal zum Sprung ansetzte, fühlte sie einen zweiten Schlag, heftiger als den ersten, und das grauenvolle Tier verschwand vor ihren Augen, just, als sie meinte, von ihm zerfetzt zu werden.
»Danke«, murmelte sie zur Überraschung der Söldner. Dann sagte sie: »Lasst mich aufstehen. Ich verspreche, mich nicht mehr zu wehren. Ich finde es etwas würdelos, auf diese Weise vor euren Herrn geschleift zu werden.«
»Würde ist ein Wort, das ein Miststück wie du nicht in den Mund nehmen dürfte«, sagte einer der Söldner, ein hässlicher Kerl mit bunt bemalter Augenklappe, und spuckte zu Boden.
»Halt’s Maul, Finmark!«, meldete sich wieder der Bariton zu Wort. »Und lasst sie gefälligst los.«
Die Söldner gehorchten. Terca tat so, als würde es sie unendlich anstrengen, auf die Beine zu gelangen. Die Rolle fiel ihr nicht sonderlich schwer. Rings um sie drehte sich alles, die Bilder aus ihrem Traum waren nach wie vor präsent und lagen wie Schleier über den Gesichtern jener Männer, die sie umringten.
»Mach schon!«, knurrte Finmark, der ungeduldigste der Männer. »Ich habe Besseres zu tun, als auf eine alte, ausgedörrte Hure zu warten.«
»Bin schon … so weit«, ächzte Terca. Ihre Knie zitterten, doch irgendwie schaffte sie es, aufrecht stehen zu bleiben. Ihr Lager war bestenfalls hundert Schritte entfernt. Sie war nach wie vor auf heimischem Terrain, das mit Fallen und Fußangeln gespickt war. Es würde ihr womöglich gelingen, den Häschern zu entkommen oder sie einen nach dem
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