Der Gottbettler: Roman (German Edition)
neuer Deckung, und eine Vielzahl von ihnen flüchtete zwischen Tercas Beine. Das Gefühl war entsetzlich. Hätte sie die Kraft dazu gehabt, sie wäre wie eine Wilde auf- und abgesprungen, um all das abzuschütteln, was sich auf und möglicherweise in ihr befand. Doch sie schaffte es nicht. Rings um sie drehte sich alles, und in ihrem Kopf war eine schreckliche Leere. Sie war in Gefahr, so viel zumindest wusste sie noch.
Erinnerungsfetzen kehrten zurück. Sie ergaben allmählich ein Bild. Terca war geflüchtet, nachdem sie diesen Magicus getötet hatte. Sie hatte es irgendwie geschafft, hier, nahe einer Lichtung, Deckung zu finden, in einem Versteck, das womöglich einmal von Wölfen genutzt worden war, denn die Jagdhunde, die man ihr hinterhergehetzt hatte, hatten einen weiten Bogen um ihr Schlupfloch gemacht.
Wie lange war das her? Zwei oder drei Tage? Wann hatte das Kläffen der Köter aufgehört? Terca wusste es nicht, es spielte auch keine Rolle. Sie lebte, und es gab Möglichkeiten, diesen höchst erfreulichen Zustand aufrechtzuerhalten. Wenn sie denn auf die Beine gelangte und sich zum nächsten Wasserloch zu schleppen vermochte.
Terca wälzte sich auf den Bauch und wollte sich auf die Arme hochstemmen. Nur mit Mühe unterdrückte sie einen Schrei. Sie fühlte ein Kribbeln im Leib wie von tausend Ameisen, die sie von innen her fraßen. Finger, Hände, Hals, Unterschenkel, Zehen – alles fühlte sich fremd an. Eine Spinne seilte sich aus ihrem Haar ab und setzte sich auf Tercas Handrücken. Sie wollte das Krabbeltier beiseitewischen – und verfehlte es. Selbst das Gefühl für Entfernungen war verloren gegangen.
Regelmäßig atmen. Einfachste Bewegungen tun. Die klebrige Masse aus den Augen wischen, Blut und Schorf mit sauberen Blättern abreiben. Etwas Gras in den Mund stopfen und langsam darauf herumkauen, hinunterschlucken, den bitteren Geschmack ignorieren. Hauptsache, du bekommst etwas in den Magen.
Je deutlicher sie ihren Körper fühlte, desto größer wurden die Schmerzen. Alles an ihr war aufgerieben und aufgeschlagen. Die Knochen knackten laut. Arme und Beine waren geprellt, und wenn sie ihrem Gefühl vertrauen konnte, waren mindestens drei Finger gebrochen.
Terca kam hoch und stolperte vorwärts. Es fiel ihr schwer, sich zu orientieren. Die Bäume ringsum sahen allesamt gleich aus, und sie hätte nicht zu sagen gewusst, aus welcher Richtung sie gekommen war. Sie folgte ihrem natürlichen Instinkt; schließlich war sie vor langer Zeit in einer Wildnis aus Baum und Fels und Wind aufgewachsen, die dieser hier ähnelte. Damals, als die Dinge in der Welt noch nicht so kompliziert gewesen waren und sie dank ihrer betörenden Schönheit die Männer für sich hatte einnehmen können.
Terca stolperte fast in das Matschloch hinein, doch sie ließ sich vorher fallen, mit dem Gesicht voran, und tauchte ihren Kopf in trübes Wasser. Wie ein Tier trank sie, wie eine wilde Kreatur.
Ihr Magen rebellierte rasch, und unter weiteren Schmerzen würgte sie die Reste dessen aus, was noch in ihrem Magen gewesen war. Doch der Vorgang, so unangenehm er auch war, hatte etwas Reinigendes. Er spülte Staub und Schmutz aus ihrem Leib.
Hunger. Sie musste etwas Essbares finden, das über Gräser und Wurzeln hinausging. Käfer und andere Krabbeltiere. Vielleicht gab es sogar Besseres. Vogeleier, die in mit den Händen erreichbaren Nestern lagen. Beeren. Aasfleisch.
Sie lauschte. Auf Vogelgezwitscher oder das Pochen eines Spechts. Doch da war nichts. Rings um sie herrschte unheilvolle Stille.
Sie warf sich zur Seite, ihren Instinkten gehorchend, und landete weich im Moos, gerade noch rechtzeitig, um einem halbmannsgroßen Bündel Leben auszuweichen, struppig und stinkend. Terca packte zu und erwischte das Vieh. Es wand sich, biss und kratzte und fauchte. Da war ein geiferndes Maul, zahnbewehrt, das sie kaum von ihrer Kehle fernhalten konnte. Sie stemmte sich heftig gegen den Leib des Tiers, ohne auf die Verletzungen zu achten, die sie in diesen Sekunden erlitt. Es waren bloß ein paar mehr auf ihrem ohnedies zerschundenen Körper, die keine Rolle spielten.
Das Vieh fauchte und schnappte nach ihr. Es war eine Wildkatze, wie sie zu Tausenden außerhalb der Grenzen Poitreas streunten. Ein Jäger, wie sie sich im Laufe der letzten Jahrzehnte in dieser Gegend breitgemacht hatten, angezogen von den Abfällen der Stadtbewohner. Ungemein aggressiv und manchmal in kleinen Gruppen unterwegs, völlig gegen die Instinkte des
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