Der Gottesschrein
musst du auch nicht, Yared. Jadiya hat ihren Vater doch bereits um deine Hand gebeten, und sie ist ihr wohlwollend gewährt worden. So wie Yasmina meine Hand gewährt wurde, nachdem offenbar wurde, dass ich dem Sultan einen Enkel schenken werde. Yared, du glaubst doch nicht im Ernst, dass Jaqmaq dich jemals gehen lässt! Weder als Schwiegersohn noch als Leibarzt oder als Dawadar. Er braucht dich. Sein Leben liegt in deiner Hand.«
Wenig später führt Benyamin Alessandra in meine Räume.
In dem pfauenblauen Seidengewand mit der grünen Schärpe, das ich in Medina gekauft habe, sieht sie wunderschön aus. Das Kleid, das sich an ihren schlanken Körper schmiegt, ist eine Verheißung, die es Schicht um Schicht zu entblättern gilt.
Ihre grau-blauen Augen mit den Goldfunken in der Iris haben die Farbe des Nils, auf dessen Wellen sich die glutrot aufgehende Sonne spiegelt. Ihr langes, seidiges Haar fließt über ihre Schultern und reicht bis zur schmalen Taille. Sie ist unverschleiert. Jede andere hätte ich für schamlos und leichtfertig gehalten, doch nicht diese selbstmächtige Frau, die sich mit einer Ungezwungenheit über Konventionen hinwegsetzt, die mich erstaunt und fasziniert. Und zugleich herausfordert.
Ich nehme ihre Hand, ziehe sie zu mir heran und küsse sie auf beide Wangen. »Schabbat Schalom.«
Ihre Nähe ist verwirrend. Und erregend. Sie riecht nach Ingwer und Zitrone. Der Duft passt viel besser zu ihr als das schwere Lotusparfüm.
»Einen friedlichen Schabbat, das wünsche ich dir auch.« Im Licht der Schabbatleuchter funkeln ihre Augen, als sie mich ohne jede Scheu ansieht.
»Wie geht es dir?«
»Abgesehen von meinem Erschrecken, als mich deine Mamelucken mit gezücktem Schwert auf Befehl des Emirs zurück in die Zitadelle eskortierten, geht es mir gut.«
»Du warst stundenlang verschwunden. Ich war besorgt und habe Arslan befohlen, dich zu suchen. Wo warst du?«
»Ich habe die Christusritter gesucht. Bitte verzeih mir, dass ich dich warten ließ. Ich dachte, Benyamin wollte mit mir zu Abend essen. Ich wusste nicht, dass du ihn gebeten …«
Ich winke ab. »Schon gut! Das Warten hat sich gelohnt.« Mein Blick umschmeichelt die schimmernde Seide ihres Gewandes. »Die Königin von Saba ist nach Jeruschalajim gekommen.«
Ein vergnügtes Lächeln huscht über ihr Gesicht. Sie weiß um ihre Wirkung auf mich. »›Und sie kam zu König Salomo und redete mit ihm über alles, was in ihrem Herzen war‹«, zitiert sie den biblischen Vers.
»Willst du meine Weisheit mit Rätselfragen prüfen?«, scherze ich.
»Warum nicht, mein König?«, neckt sie mich. Ihre Lippen sind so verführerisch wie reife Kirschen. »Deine Weisheit und deine Macht, o Salomo, können mir helfen, das größte Rätsel der Menschheit zu lösen.«
»Vergib mir, meine Königin, aber dein geheimnisvolles Lächeln übt eine unwiderstehliche Wirkung auf mich aus. Von welchem Rätsel sprichst du?«, frage ich, als ob ich nicht bereits ahne, was sie letzte Nacht im Tempelberg gesucht hat.
»Ich will die verschollene Bundeslade finden«, offenbart sie mir und sieht mir dabei in die Augen.
Nein, es überrascht mich nicht, dass sie es erneut wagen will, ins Labyrinth einzudringen. Aber ich bin verblüfft, mit welcher Unverfrorenheit sie mich, der ich wegen der Ereignisse in der vergangenen Nacht über sie richten muss, in ihre lebensgefährlichen Pläne einweiht und mich damit zum Mitschuldigen macht. Ich bewundere sie für ihre Chuzpe und ihren Mut und bin gespannt, wie sie mich dazu bringen will, etwas zu tun, was ich von ganzem Herzen tun will, aber nicht tun darf, wenn ich nicht wegen Hochverrats hingerichtet werden will.
Ich weise auf die beiden Ruhelager. »Wollen wir uns nicht setzen?« Als ich ihre Hand nehme, um sie zum Diwan zu führen, schließen sich ihre Finger um meine und halten mich fest. Nachdem sie sich niedergelassen hat, lege ich mich auf das Lager neben ihr und lehne mich in die Kissen. Wohlig entspannt schließe ich einen Moment die Augen und lausche dem leisen Knistern des Feuerbeckens, in dem trotz der nächtlichen Hitze Sandelholz, Weihrauch und Myrrhe schwelen. Im Windhauch des Khamsin verbreiten sie einen betörenden Duft. Dann wende ich mich ihr zu.
»Du hast also die Christusritter gesucht. Hast du sie …?«
Ich verstumme, als Benyamin leise den Raum betritt. »Yared, das Schabbatessen ist angerichtet.«
»Lass es hereinbringen.«
Benyamin winkt zwei Diener in den Raum, die ein großes Tablett vor
Weitere Kostenlose Bücher