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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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stehen.
    »Tristão?«, ruft Lançarote.
    Keine Antwort.
    Ein Rascheln, gefolgt von einem scharfen Kratzen. Dann dringt das Licht eines aufflammenden Zunders unter dem Saum von Rodrigos Mantel hindurch.
    Tristão steht einen Schritt entfernt von mir am Altar und entzündet eine Kerze.
    Wenn er sich bückt, um das Schwert aufzuheben, kann er mich unter dem Katafalk entdecken!
    Lançarote kommt in die Kapelle und bleibt neben ihm stehen. »Was war das?«
    »Rodrigos Schwert.« Tristão nimmt es auf und legt es zurück zwischen die gefalteten Hände des Toten.
    »Wie kann es …?«
    »Still!«, zischt Tristão und wendet sich zur Tür. »War da nicht ein Geräusch?«
    »Das ist der Khamsin, der Wind aus der Wüste. Es wird bestimmt noch heißer heute Nacht«, entgegnet Lançarote. »Was hältst du davon, wenn wir nachher zum Siloam-Teich gehen und ein kühles Bad nehmen? Danach legst du dich schlafen. Nach der letzten Nacht musst du völlig erschöpft sein. Ich übernehme die Nachtwache.«
    Tristão antwortet nicht.
    »Tristão?«
    Mit angehaltenem Atem luge ich unter dem Mantel des Christusritters hervor.
    Lançarote nimmt die Kerze vom Altar, legt seinem Freund einen Arm um die Schulter und schiebt ihn mit einem »Na, komm schon!« aus der Kapelle. Einen Herzschlag lang verharrt Tristão vor dem Portal der Kapelle. Dann vernehme ich ein Schlurfen, das sich durch den Kreuzgang in Richtung des Refektoriums entfernt. Dann ist es wieder dunkel.
    Aufatmend krieche ich unter dem Katafalk hervor und husche zum Portal der Kapelle. Vorsichtig blicke ich in den Kreuzgang.
    Wie spät ist es eigentlich?
    Aus dem Saal dringen der düstere Schein der Altarkerze und die leise Unterhaltung der Ritter Christi. Beide sprechen ein sehr klares Portugiesisch, das ich wie Kastilisch zwar nicht sprechen, jedoch recht gut verstehen kann.
    »Glaubst … eben in der Kirche?«, fragt Lançarote. »… sie nicht gesehen … wenn sie herausfindet, wer …«
    »… habe ich mit Dom Henrique gesprochen«, erklärt Tristão, während ich lautlos zur Tür des Refektoriums tappe, um das Gespräch besser verstehen zu können. »Er hat mich beschworen, das Ansehen und die Ehre des Ordens niemals …« Tristão wendet sich ab, daher kann ich nicht verstehen, was er sagt. »… was im Vatikan geschehen ist, hat er getobt. Du hast seinen Befehl doch gelesen, den gestern Morgen die Brieftaube brachte! Sie weiß zu viel. Sie gefährdet unsere Mission.«
    »Aber sie ist die Vertraute des Papstes!«, wendet Lançarote ein. »Sie ist eine angesehene Gelehrte, die mit Cosimo de’ Medici, dem Regenten von Florenz, befreundet ist. Mit dem Dogen von Venedig verkehrt sie ebenso wie mit dem byzantinischen Kaiser. Viele Kardinäle und Erzbischöfe zählen zu ihren Freunden – einer von ihnen, Kardinal Prospero Colonna, der seinem Onkel Papst Martin auf den Thron nachfolgen will, ist ihr Cousin.«
    »Sie besitzt große Macht, und sie kann uns gefährlich werden.«
    »Du kannst sie nicht einfach töten und ihre Leiche verschwinden lassen. Und welchen Sinn hätte diese Bluttat, wenn sie in Rom mit Papst Eugenius gesprochen hat?«
    »Als er mich empfing, erweckte er nicht den Anschein, als wüsste er, wer ich bin oder was ich getan habe. Bislang hat er nichts gegen den Ordem de Cristo unternommen. Lançarote, ich habe gesehen, wie seine Hände zitterten – er konnte sie nicht ruhig halten. Er hat nicht mehr lange zu leben. Wenn er etwas weiß, wird er dieses Wissen mit ins Grab nehmen. Vor Jahresende werden wir einen neuen Papst haben«, prophezeit Tristão. »Alessandra und ihr Freund, der Sandfresser, müssen sterben! Sie hat mir mit ihrer Fackel beinahe das Augenlicht genommen. Und er hat Rodrigo auf seinem heidnischen Gewissen. Ich will Rache für den Jungen! Verfluchter Kamelficker!«
    »So wie du mir den Kampf zwischen Rodrigo und diesem Tayeb beschrieben hast, hat der Ungläubige überlebt, weil er der erfahrenere Kämpfer war.«
    »Rodrigo ist tot!«
    »Auch ich trauere um ihn, genau wie du!«, beschwichtigt Lançarote seinen Freund – die beiden kennen sich offenbar schon sehr lange. »Seit du ihn mir nach dem Tod seiner Mutter vor drei Jahren anvertraut hast, habe ich Rodrigo in mein Herz geschlossen. Ich war enttäuscht, als du mir geschrieben hast, dass du ihn als sein Mentor zu dir nach Tomar holen willst, um ihm selbst den letzten Schliff zu geben und ihn nach all den Jahren endlich Dom Henrique und dem König vorzustellen. Und nun …« Er seufzt.

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