Der Gottesschrein
redet davon, das Bett zu verlassen.«
»Er will, dass du nach Al-Kahira zurückkehrst«, vermute ich.
Yared starrt unverwandt die Kuppel des Felsendoms an und nickt.
So muss es sich anfühlen, wenn einem das Herz bei lebendigem Leib herausgerissen wird! Niketas starb in meinen Armen. Soll ich nun auch noch Yared verlieren? Gott, warum tust du mir das an? Warum nimmst du mir jeden, den ich liebe?
»Uthman und du – ihr habt gestritten«, quäle ich heraus.
»Ja.« Sein Tonfall verrät seine innere Zerrissenheit.
»Wieso?«
Er holt tief Luft. »Hat Arslan dir erzählt, dass der Sultan ihn zum Emir von Assuan ernennen will?«
»Um Bedlay in seinem Djihad gegen Zara Yakob zu unterstützen. Arslan hat mir anvertraut, dass er morgen Aksum erobern will.«
Yared fährt sich mit beiden Händen über das Gesicht. Er wirkt erschöpft. »Uthman will Solomon als Geisel mit in die Zitadelle von Al-Kahira nehmen. Auf diese Weise hofft er, dass er einen Kreuzzug gegen Ägypten verhindern kann, falls Sultan Bedlay in Aksum scheitert.«
»Wann wirst du aufbrechen?«
»Übermorgen.«
Nur einen Tag!
Ich ringe nach Atem. Halt suchend taste ich nach seinem Arm. Er umarmt mich und hält mich fest. Als ich meinen Kopf an seine Schulter lege, höre ich sein Herz schlagen und spüre, wie er am ganzen Körper bebt.
Ich blicke auf, streiche ihm zärtlich über das Haar und küsse ihn. Die Traurigkeit und die Hoffnungslosigkeit, die in seinen dunklen Augen schimmern, rühren mich zu Tränen, und auch er hält seine Gefühle nicht zurück. Seine Schultern zucken, als er das Gesicht in meinem Haar verbirgt.
· Yared ·
Kapitel 42
In Yareds Schlafzimmer in der Zitadelle
18. Dhu’l Hijja 848, 21. Nisan 5205
Ostersonntag, 28. März 1445
Gegen drei Uhr dreißig morgens
Ein Geräusch reißt mich aus dem Schlaf. Ein Knarren, ein Knistern, ein leises Rascheln? Die Jahre am Hof in Al-Kahira in ständiger Erwartung eines Attentats haben meine Sinne geschärft.
Mein Herz klopft, mein Atem vertieft sich.
Ich taste nach meinem Dolch und lausche in die Finsternis in meinem Schlafzimmer. Nur das Sternenlicht fällt durch die hauchzarten Vorhänge, die sich im leisen Nachtwind bewegen. Mein Körper ist schweißnass – nicht nur, weil Alessandra und ich uns mehrmals sehr leidenschaftlich geliebt haben. Es ist heiß wie in einem Hamam, aber der Nachtigall, die in ihrem Käfig neben dem Fenster ihr Nachtlied singt, scheint die Hitze nichts auszumachen.
Abgesehen von ihrem Tschirpen ist es still.
Keine Schritte, die sich behutsam meinem Bett nähern. Nicht einmal das leise Getuschel der Mamelucken, die mein Leben mit ihrem schützen, vor dem Eingang zu meinen Gemächern. Alles ist ruhig.
Langsam atme ich aus.
Eng an mich geschmiegt, schläft Alessandra in meinen Armen. Ihr Gesicht ruht an meiner Schulter, ihr langes Haar fällt über das Kopfkissen.
Ich hauche ihr einen Kuss auf die leicht geöffneten Lippen – in der Finsternis kann ich ihr Lächeln nur erahnen. Ich vergrabe das Gesicht in ihrem Haar, atme tief ihren Duft ein und lausche dem wohltönenden Gesang der Nachtigall. Im Frühjahr singen einsame Nachtigallenmännchen bis zur Morgendämmerung. Der wundervolle Gesang, so heißt es, schenke einem gebrochenen Herzen Ruhe und Frieden und beschere einem Sterbenden einen sanften Tod.
Als Alessandra leise im Schlaf seufzt und sich an mich schmiegt, lege ich meinen Arm um sie. »Hmmm …«, schnurrt sie und lächelt selig, wacht jedoch nicht auf.
Ein leises Rascheln lässt mich aufhorchen. Ich halte den Atem an und lausche in die nächtliche Stille.
Was ist das? Sind es Schritte, die ich durch die offene Tür des Arbeitszimmers höre?
Mein Herz rast.
Irgendjemand ist in meine Gemächer eingedrungen und schleicht durch mein Arbeitszimmer. Wieso haben meine Leibwächter ihn durchgelassen? Arslan weiß doch, dass ich nicht mehr gestört werden will – er hat doch selbst das Gewand und meine Karte auf Alessandras Bett gelegt. Ist es Benyamin? Sucht er die Baruch-Apokalypse? Oder will sich Uthman nach meiner Weigerung, gleich nach dem Morgengebet nach Al-Kahira aufzubrechen, noch mehr betrinken? Die Karaffe mit seinem Raki steht noch auf meinem …
Alessandra hat das zerbrochene Templerschwert auf meinen Schreibtisch gelegt!
Ein Schatten verharrt in der offenen Tür. Ich kann seinen unterdrückten Atem hören. Und ich spüre seine Angst. Ich liege still und atme tief und regelmäßig, als ob ich schlafe.
Der schwarz gekleidete
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