Der Gottesschrein
hundertsten Namen Allahs.«
»Na gut.« Sie zählt mehrmals hundert Zeichen ab und wendet den Atbash-Code an. Vergeblich.
»Bist du vertraut mit der Kabbala?« Mit kratzender Feder skizziere ich den ›Baum des Lebens‹ mit den zehn Sephirot, die ein Abbild Gottes sind. »Siehst du? Der unterste Schriftzug symbolisiert die Königsherrschaft. Ganz oben steht die Krone, das Ziel der mystischen Suche, die reine göttliche Essenz. Über allem schwebt Ain Soph, das unbenennbare und endlose Nichts, aus dem die Schöpfung entstanden ist und die zehn Sephirot hervorgegangen sind. Manche Kabbalisten setzen Ain Soph mit dem Schöpfergott gleich. Sechs Buchstaben.«
Alessandra dekodiert jeden sechsten Buchstaben mit Atbash – vergeblich. Auch Baphomet und Sophia führen zu keinem Ergebnis – ›die göttliche Weisheit‹ entsteht, wenn man das Wort Baphomet mit Atbash dekodiert.
»Der Gottesname muss viel länger sein als Jahwe, Allah, Ain Soph oder Sophia. Die Baruch-Apokalypse ist neunundvierzig Rollenabschnitte zu je sechsunddreißig Zeilen lang – das sind schätzungsweise eintausendsechshundert Zeichen pro Seite und rund achtzigtausend Zeichen im gesamten Dokument. In Anbetracht der merkwürdigen Satzstellung schätze ich, dass der kryptische Text der Templer zwischen zweitausend und dreitausend Zeichen lang ist. Ein oder zwei Seiten.«
Ich lehne mich in die Kissen. »Was nun?«
Sie atmet tief durch und deutet auf Tayeb, der auf dem Diwan zusammengesunken und eingeschlafen ist. »Ich bringe ihn ins Bett.«
»Und dann?«
Ich nehme ihre Hand, und sie schiebt ihre Finger auf eine sehr intime Weise zwischen meine, bis sie zärtlich ineinander verwoben sind. Dann küsst sie mich.
»Ich warte auf dich«, flüstere ich mit klopfendem Herzen.
· Alessandra ·
Kapitel 41
In Alessandras Schlafzimmer in der Zitadelle
18. Dhu’l Hijja 848, 21. Nisan 5205
Karsamstag, 27. März 1445
Kurz vor neun Uhr abends
Sobald Tayeb eingeschlafen ist, kehre ich in mein Schlafgemach zurück. Überrascht bleibe ich in der offenen Tür stehen.
Auf dem Bett liegen ein weites Seidengewand in Granatapfelrot, das mit goldenen Sonnen bestickt ist, dazu eine passende Hose und glänzende goldene Schuhe. Die gütig lächelnde Sonne ist das Symbol für Iyasus Christos. Vermutlich ein Geschenk des Neffen des Neguse Negest an den Vizekönig von Jerusalem.
Saphira überreicht mir Yareds Karte – nein, nicht Yareds, denn König Salomo hat an die Königin von Saba geschrieben, dass er sie sehnsüchtig erwartet.
»Yared hat mich gebeten, dich zu verwöhnen«, verrät sie mit einem verheißungsvollen Lächeln.
Voller Erwartung lasse ich mich von Saphira in den Hamam führen, einen Raum mit Marmorfußboden und zwei marmornen Badewannen. Sobald sie mich entkleidet hat, geleitet sie mich zur Wanne mit dem heißen Wasser. Während ich mich im Wasser räkele und von der Hitze durchdringen lasse, bis ich wohlig entspannt und ein wenig schläfrig bin, massiert Saphira mir sanft die Füße. Als meine Haut ganz weich geworden ist, reibt sie mich mit einem duftenden Lappen ab und entfernt mit einer säuerlich riechenden goldgelben Paste auch an den intimsten Stellen mein Körperhaar. Für die Bemalung meiner Hände und Füße und der Innenseite meiner Schenkel mit Blütenranken aus Henna bleibt keine Zeit.
»Yared wird es gewiss gefallen«, verrät sie mir, während sie mich mit kühlem Wasser wäscht und abtrocknet.
Ich will sie nicht beschämen, aber ich kann nicht anders. Die Frage liegt mir auf den Lippen. »Ist Yared auch enthaart?«
Saphiras Augen funkeln. »Aber ja! Wie am Tag seiner Geburt. Wenn ich ihn mit Duftöl massiert habe, ist seine Haut so zart wie deine – ich meine, abgesehen von den furchtbaren Narben auf seinem Rücken, die ihm der König der Tuareg zufügte, als er dessen Sklave war. Yared sagt, enthaart zu sein steigere den Liebesgenuss. Für beide.«
»Und? Stimmt das?«
Sie lächelt wissend. »O ja.«
»Er schläft also mit dir.«
»In manchen Nächten, wenn er sich einsam fühlt, ruft er mich zu sich«, gibt sie leise zu. Ein rosenfarbener Hauch überzieht ihr Gesicht.
Mein Gott, sie liebt ihn wirklich!
»Saphira?«
Sie sieht auf. »Ja?«
Ich zögere. »Bist du …?«
»Nein, ich bin nicht eifersüchtig«, beteuert sie sanft und neigt den Kopf. »Yared liebt dich von ganzem Herzen. Er hat sich verändert, seit er dich kennengelernt hat. Sein Gesicht glüht, wenn er von dir spricht, seine Lippen lächeln, und seine
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