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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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getroffen.
    »Sei ganz ruhig«, flüstere ich. Ich kann nichts für ihn tun, als in den letzten Augenblicken seines Lebens bei ihm zu sein und seine Hand zu halten.
    Er atmet schwer, verschluckt sich und hustet. Ein Rinnsal von Blut läuft ihm aus dem Mund. »Vergibst du mir?«
    »Ich vergebe dir.«
    Alessandra, die inzwischen eine Kerze entzündet hat, tritt neben mich. »Wer ist das?«
    »Ein Freund«, antworte ich mit tonloser Stimme.
    Fassungslos starrt sie mich an und sinkt neben mir auf die Knie. »O Gott, Yared, das tut mir so leid«, flüstert sie bestürzt, schlägt sich die Hände vor das Gesicht und blickt mich mit aufgerissenen Augen an. »Ich dachte …«
    »Beruhige dich! Und lass mich mit ihm reden. Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit.«
    Sie nickt und zieht sich zurück.
    »Dein Freund«, haucht er und lächelt dabei matt. »Ich habe deine Schwester geliebt, Yared. Ich habe Sarah geliebt.«
    Ich streiche ihm über die schweißnasse Stirn. »Sei ganz ruhig.«
    Ein Zittern erschüttert seinen Körper. »Wirst du deinem anderen Freund … Sultan Muhammad … auf den Thron … Gharnata vor der Reconquista … bewahren …?« Er hustet Blut.
    »Ich werde mit Sultan Jaqmaq reden. Das verspreche ich dir.«
    »Bism’Allahi ar-rahmani ar-rahím. Dann ist mein Tod … nicht … sinnlos … gewesen«, stößt er mit letzter Kraft hervor. »Es gibt … keinen Sieger … außer Allah.«
    Aron stirbt mit einem Lächeln auf den blutverschmierten Lippen.

· Intermezzo ·
    In der Nähe von Aksum
    Fasika, 2. Miyazya 6945
    Vor der Schlacht um zehn Uhr morgens

    »Da sind sie«, murmelt der König der Könige in das Dröhnen der großen Kriegstrommeln. Über der seidenen Robe und den weiten Hosen hat Zara Yakob die prächtige Rüstung seines Vaters David angelegt. »Sie kommen. Macht euch bereit.«
    Hochgereckte Speere mit flatternden Wimpeln tauchen zwischen den Akazien, Tamarisken und Weihrauchbäumen auf, als Sultan Bedlays Krieger den Hügel gegenüber erklimmen. Das Knattern der Fahnen im heißen Wind, die stampfenden Schritte der anrückenden Krieger im trockenen Gras, das Schnauben der Pferde und Maultiere, das tiefe Röhren der Dromedare, das Trompeten der Elefanten und das rhythmische »Allahu akbar!« der Muslime klingen beunruhigend nah.
    Der Kaiser lässt seinen Blick über die weite, ockerfarbene Landschaft schweifen, über die die flirrende Hitze wie eine glühende Woge hinwegbrandet. Im Schein der höher steigenden Morgensonne leuchten rosen- und malvenfarben die fernen Berge. Sie scheinen im bläulichen Dunst zu schweben. Dazwischen schimmert das trockene Grasland in zarten Gelbtönen.
    Vor Jahren, als er nach seiner Thronbesteigung mit seinem Zeltlager noch in Aksum residierte, lösten die Sonnenaufgänge in den Bergen ein überwältigendes Glücksgefühl in ihm aus. Er spürte, dass dies das Gelobte Land ist, ein neuer Garten Eden.
    Gedankenverloren betrachtet er die Sichel des untergehenden Mondes tief über dem Horizont. Wäre der versinkende Halbmond, das Symbol des Propheten Mohammed, gegenüber der aufsteigenden Sonne, dem Symbol von Iyasus Christos, doch nur ein Zeichen für den bevorstehenden Sieg!
    Der Kaiser wendet sich um und mustert die geordneten Reihen seiner Krieger, die ihn erwartungsvoll beobachten. Es ist Fasika, das Fest der Feste, an dem Gott den Bund mit seinem auserwählten Volk erneuern und dem Sohn Davids und Salomos hoffentlich den Sieg über die Ungläubigen schenken wird.
    Atemlose Stille herrscht auf dieser Seite des weiten, von der Morgensonne durchglühten Schlachtfeldes, das eine Stunde von Aksum entfernt in den Hügeln von Tigray liegt.
    »Die Bogenschützen sollen sich bereit machen!«, befiehlt der Neguse Negest, ohne den Kal Hatze zu bemühen, die ›Stimme des Königs‹. Der Würdenträger des Hofes hat bei Audienzen die Aufgabe, seine kaiserlichen Worte laut zu wiederholen.
    »Wir sind zu schwach, Euer Majestät!«, mahnt einer der Offiziere, ein christlicher Mamelucke, der den ägyptischen Gesandten nach Aksum begleitet hat und nach dessen Festnahme in die Dienste des Erwählten Gottes getreten ist. Zuvor hat er Yared al-Gharnati gehört, dem Vertrauten des Sultans von Ägypten. »Ahmed Bedlay ist in der Übermacht. Er hat mehr als hunderttausend Krieger, die der Fahne des Propheten folgen. Und wir sind kaum zehntausend.« Der Byzantiner spricht Amharisch mit dem weichen, griechischen Akzent von Thessaloniki, das vor Jahren von den türkischen Osmanen erobert wurde,

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