Der Gottesschrein
direkt neben meinem Fuß auf den Boden. Mit einem fast unhörbaren Trippeln verschwindet er in den Schatten hinter einer Reisetruhe.
»Yared …«, flüstert sie angstvoll.
»Sei ganz ruhig! Ich hab dich!« Während ich sie hochhebe, schlingt sie ihre Arme um meinen Nacken und hält sich an mir fest. Wenige Schritte entfernt stelle ich sie auf den Boden.
»Siehst du, Yared?«, stöhnt sie entsetzt. »Die Skorpione huschen am Laken hinunter auf den Boden. Sie sind … o Gott, sie sind schon überall! Hinter der Truhe ist einer! Und da ist noch einer!«
»Beweg dich nicht!« So schnell ich kann, werfe ich das Laken über vier oder fünf auseinanderflitzende Skorpione – die anderen haben das Bett bereits verlassen. Mit beiden Armen raffe ich es zusammen und hülle die aufgeregt wimmelnden Skorpione in den dichten Seidenstoff. Dann haste ich zum offenen Fenster und werfe das Laken hinaus in die Nacht.
Ich packe Alessandras Arm und zerre sie ins Arbeitszimmer. »Schließ die Tür, und zünde so viele Kerzen an, wie …«
In diesem Augenblick stürzt sich der Hashishin mit einem unterdrückten Schluchzen von hinten auf mich. Der venezianische Dolch blitzt auf, als er auf mich einsticht. Im letzten Moment kann ich den Stoß abfangen, mit aller Kraft umlenken und gegen ihn selbst richten.
Schwer atmend springt er einen Schritt zurück und richtet die gläserne Klinge auf mich. »Stirb, du Verräter!«
In der Finsternis kann ich sein verhülltes Gesicht nicht erkennen, doch seine Stimme erscheint mir seltsam vertraut.
Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie Alessandra die Schlafzimmertür zuschlägt, zum Schreibtisch hastet und die Baruch-Apokalypse holt, um sie vor den Spalt zu schieben. Mit einem Schrei springt sie auf, als ein Skorpion am Papyrus vorbei unter der Tür hervorkommt, über ihre nackten Füße flitzt und unter dem Diwan verschwindet. Alessandra folgt ihm zum Schreibtisch, um ihn …
In diesem Moment wirft sich der Hashishin so schwungvoll gegen mich, dass er mich beinahe umwirft. Die scharfe Klinge verfehlt mich, reißt jedoch eine Wunde in meine Schulter. Mit einem leisen Knacken bricht ein Teil der gläsernen Spitze ab und fällt zu Boden. Der Attentäter schluchzt verzweifelt auf und hebt den funkelnden Dolch, um ihn in mein Herz zu rammen.
»Allahu akbar. Es gibt keinen Sieger außer Allah!«, spricht er sich mit dem Schlachtruf der Nasriden selbst Mut zu. Dann sticht er zu und …
Allmächtiger Gott!
… und bricht mit einem Stöhnen vor mir in die Knie. Der venezianische Dolch poltert auf den Boden und zerbricht in ein Mosaik von spitzen Glasscherben.
Nur schemenhaft erkenne ich Alessandra, die hinter ihm steht. Sie hält das zerbrochene Templerschwert erhoben in beiden Händen, bereit zum Todesstoß. Die kostbare Klinge trieft vor Blut.
Japsend ringt der Hashishin nach Atem, kippt schließlich vornüber und bleibt reglos liegen.
»Auf meinem Schreibtisch sind Kerzen!«, rufe ich Alessandra zu, knie mich neben den Sterbenden und drehe ihn um, um ihm den Schleier abzunehmen und ihm ins Gesicht zu sehen.
Er wehrt sich, schägt nach mir, als ich an dem schwarzen Tuch ziehe, hält meine Hand fest und keucht: »Erspare mir die Schande, Yared, ich bitte dich!«
Nein, das darf nicht wahr sein!, denke ich, lasse den Schleier los und sinke erschüttert in die Knie.
»Bitte, Yared, tu so, als wüsstest du nicht, wer ich bin!«, fleht er mich an.
Mein Herz krampft sich schmerzhaft zusammen, und ich ringe mit den Tränen.
Ich hätte mit ihm reden sollen, denke ich, und die Traurigkeit überwältigt mich. Ich wusste doch, wie enttäuscht er über meine Antwort war, wie zornig und wie verzweifelt über den unaufhaltsamen Untergang unserer Heimat. Ich hätte ihm versprechen müssen, Gharnata vor der Reconquista zu bewahren. Aber ich habe es nicht getan.
»Yared?«, presst er hervor. Seine Stimme versagt. Er streckt die Hand nach mir aus. »Du weinst.«
Ich mache einen tiefen Atemzug.
»Ich habe … keinen anderen Weg gesehen.«
Ich bringe kein Wort heraus und nicke nur.
»Ich dachte, wenn du … o Gott, was habe ich getan! … Wenn du tot bist, würde sich Sultan Jaqmaq auf die Gebote Allahs besinnen, uns in unserer Not beistehen … und seine Mamelucken … nach Gharnata …« Er verstummt.
Ich bette seinen Kopf auf ein Kissen. »Besser so?«
Sein Körper wird von lautlosen Weinkrämpfen geschüttelt, während das Blut unaufhaltsam aus ihm herausrinnt – Alessandra hat sein Herz
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