Der Gottesschrein
Papyrusstängel, den Jadiya mir bei unserem Abschied gegeben hat.
Unter dem Koranspruch ›O ihr, die ihr glaubt, sucht Hilfe in Standhaftigkeit und Gebet. Denn Allah ist mit den Standhaften!‹ steht ihr Liebesschwur: ›Mein Herz ist voller Hoffnung, während du in Mekka bist. Meine innigen Gebete begleiten dich. Voller Sehnsucht erwarte ich deine Rückkehr. Ich liebe dich. Jadiya.‹
Mit einem Gefühl der Trauer im Herzen lege ich den Papyrus zurück ins Buch. Ich werde Jadiya nie mehr wiedersehen, denn ich kann nicht mehr nach Al-Kahira zurückkehren.
Wehmütig blättere ich durch das Buch, in dem Yehuda Halevi die ersehnte Heimkehr nach Israel beschworen hat: ›So sehr liebten sie das Land Israel, dass sie sagten: Wer nur vier Ellen in das Land hineingegangen ist, sei schon der Seligkeit gewiss. Wer in Israel begraben ist, sei gleichsam unter dem Altar begraben.‹
Zart streiche ich über die vertrauten Zeilen. Dann vergrabe ich das Gesicht in den Seiten und atme tief den modrig herben Duft des alten Folianten ein. Den Geruch der Erde der entrissenen Heimat Erez Israel. Den Duft der Sehnsucht nach der verlorenen Freiheit. Dann schließe ich das Buch und lege es zurück in die Truhe. Wie alles andere, das in den letzten sieben Jahren mein Leben ausgemacht hat, muss ich es zurücklassen.
Ab heute werde ich wieder sagen: ›Leschana haba be’Jeruschalajim – Nächstes Jahr in Jeruschalajim!‹
Denn ich werde wiederkommen.
Mit der Bundeslade.
Ein Geräusch lässt mich erschrocken herumfahren.
Alessandra steht in der offenen Tür und sieht mir beim Packen zu.
»Du willst also nach Aksum.« Sie wirkt traurig.
»Im Morgengrauen werde ich aufbrechen.«
Sie tritt neben mich, nimmt mir das Schwert aus der Hand, wirft es neben die Tasche auf das Bett und sieht mir in die Augen. »Bitte verlass mich nicht. Wir würden uns nie wiedersehen.«
Ich atme tief durch und muss schlucken.
»Ich will mein Leben mit dir verbringen, Yared. Ich liebe dich. Ich will dich nicht verlieren.«
»Das wirst du nicht. Ich liebe dich auch.«
»Dann geh nicht.«
Ich antworte nicht.
»Die Reise nach Aksum ist lebensgefährlich. Sultan Jaqmaq wird dir deinen Verrat niemals verzeihen. Er wird dich verfolgen wie der Pharao Moses verfolgen ließ. Niemand wird dir, dem geflohenen Juden, Schutz gewähren. Weder der Emir von Medina noch der Sharif von Mekka oder der Sultan von Sanaa. Und wie wird der Neguse Negest reagieren, wenn du die Bundeslade von Aksum nach Jerusalem zurückbringst?«
Ich senke den Blick.
Sie hat ja recht.
Alessandra missversteht mein Zögern. »Wenn du gehst, gehe ich mit dir.«
Ich blicke auf. »Alessandra, das ist …«
Sie hebt die Hand, damit ich schweige. »Wir werden gemeinsam nach Aksum reisen, um die Bundeslade zu suchen. Nachdem wir morgen früh mit Gebre Christos gesprochen haben«, beschließt sie resolut. »Während des Abendessens hat Prinz Solomon das Kebra Negest erwähnt, das äthiopische Nationalepos.«
»Es berichtet, wie König Salomos Sohn Menelik die Bundeslade von Jeruschalajim nach Aksum brachte.«
»So ist es. Als ich Gebre Christos am Karfreitag besucht habe, lag dieses Buch auf seinem Tisch. Er kann uns den äthiopischen ›Gralsroman‹ vorlesen und ins Arabische übersetzen. Er kann uns die Bundeslade beschreiben. Und den ›Lapis ex coelis‹, die Gesetzestafel mit den Zehn Geboten. Sobald wir mit Gebre Christos gesprochen haben, werden wir sehen, ob Tayeb die verborgene Botschaft in der Baruch-Apokalypse entschüsselt hat.«
Sie zeigt mir das Amulett mit dem Gottesnamen, das Aviram ben Eleazar ihr heute Morgen gegeben hat, und erklärt mir, der Lehre der Kabbala gemäß bestehe er aus zweiundvierzig Buchstaben. Nachdem sie Tayeb heute Mittag in die Grabeskirche gebracht habe, habe er damit begonnen, die Schatzkarte der Templer mit dem Atbash-Code zu entschlüsseln.
»Sobald wir überzeugt sind, dass die Bundeslade nicht im Tempelberg begraben liegt, sondern sich in der Kathedrale von Aksum befindet, brechen wir auf. Morgen Nacht.«
»Und Tayeb?«
»Er ist zu schwach, um allein nach Akko und weiter nach Venedig oder Byzanz zu reisen. Er wird uns begleiten. Er wird sich freuen, vor seinem Tod nach Medina an das Grab des Propheten pilgern zu können und an der Kaaba in Mekka zu beten. Sieh mich doch nicht so an, Yared! Glaubst du, ich weiß nicht, wie es um ihn steht, obwohl du mir die Wahrheit verschwiegen hast?«
»Er könnte sterben«, wende ich ein.
»Er hat den
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