Der Gottesschrein
besten Hakim, den er sich wünschen kann. Wenn er stirbt, dann auf dem Weg nach Mekka. Ich werde ihn dorthin bringen.« Ihre Stimme duldet keinen Widerspruch.
Ich bewundere ihre Entschlossenheit und ihren Mut. Sie setzt ihr Leben aufs Spiel, wenn sie, die Nasrani, Tayeb nach Mekka begleitet. In ihr sprudelt ein unerschöpflicher Quell von Liebe und Vergebung. Ich beginne zu verstehen, warum selbst der Papst sich ihr anvertraut.
»Darf ich dich umarmen?«, frage ich sanft.
Sie nickt und schmiegt sich an mich, um sich von mir in die Arme schließen zu lassen. »Ich liebe dich«, haucht sie und küsst mich.
»Und ich liebe dich.«
Sie zieht mir den Turban vom Kopf und zerwühlt mein Haar. Dann öffnet sie meine Robe, schiebt ihre Hände unter den Seidenstoff und streichelt mich auf eine zutiefst sinnliche und äußerst erregende Weise. Ich seufze vor Lust, als ihre Hände tiefer gleiten. Meine zärtlichen Liebkosungen auf ihrer nackten Haut und meine Küsse erwidert sie mit derselben Leidenschaft wie letzte Nacht, als wir …
Benyamin, der unbemerkt den Raum betreten hat, räuspert sich, um uns auf sich aufmerksam zu machen. »Ich weiß, es ist ein äußerst ungünstiger Augenblick …«
»Allerdings«, gebe ich trocken zu. Meine Stimme klingt rau. »Denkbar unpassend. Was ist denn?«
Hastig rafft Alessandra die weggleitende Robe vor ihre nackten Brüste und hebt die Schärpe auf, die das Gewand zusammenhält.
»Dom Lançarote de Santarém wünscht Contessa Alessandra zu sprechen. Er wartet im Empfangssaal des Emirs. Vor zwei Stunden hat er schon einmal vorgesprochen, als ihr in Hagia Sion wart. Offenbar wurde er von Solomons Gefolge nicht vorgelassen.«
Alessandra blickt mich bestürzt an und flüstert: »Elija!« Dann wendet sie sich an Benyamin. »Wie spät ist es?«
»Eine Stunde vor Mitternacht.«
Sie wendet sich zu mir um. »Tristão hat gedroht, Elija zu töten, wenn ich ihm nicht bis Mitternacht die Baruch-Apokalypse übergebe. Komm mit!«
Alessandra kleidet sich rasch wieder an und stürmt mit mir in den Empfangssaal, wo Lançarote uns erwartet. Der Christusritter sieht mich irritiert an, verneigt sich artig und begrüßt mich auf Portugiesisch. »Euer Hoheit.«
Ich nicke ihm zu. »Dom Lançarote.«
Dann wendet er sich an Alessandra. »Ich danke Euch, dass Ihr mich empfangt, Dona Alessandra. Nach allem, was gescheh…«
»Was wollt Ihr?«, unterbricht sie ihn mit einer Geste wie ein Schwerthieb. Sie bleibt mit verschränkten Armen vor ihm stehen und sieht zu ihm auf. Er ist eine Handbreit größer als sie, doch sie wirkt nicht eingeschüchtert.
»Ich will Elijas Leben retten. Es hat schon genug Tote gegeben. Fra Leonardo, Mar Abdul Masih, Imad ad-Din Ghiorghi und jetzt auch noch Rabbi Eleazar.«
Alessandra schnappt nach Luft. »Rabbi Eleazar ist tot?«
»Tristão hat ihn ermordet, als ich vorhin hier war, um mit Euch zu reden. Doch Rabbi Benyamin, der Sekretär Seiner Hoheit …«, Lançarote blickt kurz in meine Richtung, »… hat mich fortgeschickt, weil Ihr auf einem Empfang in Hagia Sion wart.«
»Was ist geschehen?«, fragt sie atemlos.
»Nachdem Ihr heute Morgen im Felsengrab sagtet, Ihr könntet die Baruch-Apokalypse nicht gegen Elija tauschen, weil sie nicht in Eurem Besitz sei, vermutete Tristão, Ihr hättet den Rabbi gebeten, sie zu übersetzen. Eleazar hat Tristão überrascht, als er sein Haus nach der Schriftrolle durchsuchte.«
»O Gott!«, stöhnt sie.
»Tristão und ich haben gestritten, als er mir den Mord an dem Juden gestand.«
Alessandra nickt stumm. Sie ist ganz blass geworden.
»Ich flehe Euch an, Dona Alessandra. Übergebt ihm die Baruch-Apokalypse! Sonst wird er Elija töten.«
»Der Papyrus ist in der Grabeskirche, deren Portal seit Sonnenuntergang verschlossen ist. Ihr kennt sicher das langwierige Zeremoniell des Torschlusses durch die muslimischen Wächter, die den Schlüssel verwahren. Nach Sonnenuntergang ist die Grabeskirche eine Festung. Selbst wenn ich es wollte, könnte ich Euch den Papyrus nicht übergeben.«
Lançarote nickt resigniert. »Er wird den Jungen töten. Und dann wird er auch Euch und Euren Freund Tayeb töten«, prophezeit Lançarote. »Tristão wird nicht ruhen, bis er Rodrigos Tod gerächt hat.«
»›Vaya con Dios, Rodrigo! Dame confianza, te amo como si fueses mi proprio hijo.‹ Diese tröstliche Widmung hat Tristão in Wolfram von Eschenbachs Parzival geschrieben, den er Rodrigo vor drei Jahren geschenkt hat. Don Rodrigo de
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