Der Gottesschrein
ob die Opfer Christen, Muslime oder Juden sind.«
»Da gebe ich Euch recht.«
»Dom Lançarote, wenn Ihr mir Elija übergebt, werde ich kraft der mir von Papst Eugenius erteilten Handlungsvollmacht Eure Exkommunikation aufheben lassen. Ich weiß, Ihr habt die Morde nicht begangen. Am Karfreitag habe ich Euer Gespräch mit Tristão im verfallenen Kloster mitangehört. Ich weiß, dass Ihr sein Handeln zutiefst missbilligt. Und ich weiß auch, dass Ihr Eurem Freund nicht Einhalt gebieten könnt, weil er auf ausdrücklichen Befehl von Prinz Henrique handelt, der befohlen hat, mich zu töten, weil ich weiß, was im Vatikan geschehen ist. Noch heute Nacht werde ich Patriarch Joachim bitten, Euch die Rückkehr in die Kirche zu gewähren und …«
Lançarote schüttelt traurig den Kopf. »Nein, Dona Alessandra, ich werde Tristão nicht um meines Seelenheils willen verraten. Nicht als Ordensbruder, mit dem ich in Tomar die Gelübde abgelegt habe, nicht als Schwertbruder, an dessen Seite ich in unzähligen Schlachten gegen die Muslime gekämpft habe, nicht als Freund. Ich kann es nicht. Gott sei mir gnädig!«
Ein leises Klopfen unterbricht das Schweigen.
Arslan, der immer noch den kleinen David mit sich herumträgt, steckt den Kopf zur Tür herein. »Ach, hier seid ihr! Ich habe euch schon gesucht.«
Stirnrunzelnd mustert er Lançarote, während er die Tür so weit öffnet, dass Alessandra und ich Karim, Khalid, Akiva, Ioannis und den kleinen Basilios sehen können, die vor dem Empfangssaal warten. Mit aufgerissenen Augen starren die Jungen den Tempelritter an, der Elija gefangen hält.
»Alessandra, hast du einen Augenblick Zeit?«, fragt Arslan ernst und winkt sie heran. Im letzten Augenblick kann er David festhalten, der nur allzu gern über die Schale mit dem kandierten Ingwer auf dem Tisch vor dem Diwan herfallen würde. »Deine Gefolgsleute bitten, von dir empfangen zu werden. Die Lausebengel haben dir etwas zu sagen.«
· Alessandra ·
Kapitel 52
Vor dem Damaskustor nahe der Höhle des Zedekia
Fasika, 2. Miyazya 6945
19. Dhu’l Hijja 848, 22. Nisan 5205
Ostermontag, 29. März 1445
Mitternacht
Das aufgeregte Zirpen der Zikaden ist plötzlich verstummt. Yared bleibt neben mir stehen und greift nach seinem Schwert.
Meine Hand verkrampft sich um den Griff meines Dolches. Mit angehaltenem Atem lausche ich in die Stille.
Der böige Nachtwind rauscht in den Zweigen der uralten Olivenbäume. Der verwilderte Hain aus knorrigen Bäumen, die wohl älter sind als ein Jahrtausend, gemahnt an den Garten Getsemani auf der anderen Seite des Tempelbergs. Der Himmel jenseits der goldenen Kuppel des Felsendoms flackert im Schein des heraufziehenden Gewitters.
»Was ist?«, wispere ich unruhig.
Yared starrt aufmerksam nach vorn, schüttelt den Kopf und antwortet nicht.
Im diffusen Licht der Blitze kann ich das große Kreuz an der Stadtmauer erkennen, das den Ort bezeichnet, wo nach der Belagerung durch das erste Kreuzzugsheer der Florentiner Pazzino de’ Pazzi die Mauern des ›befreiten Jerusalem‹ erklomm, um die christliche Fahne über der Heiligen Stadt zu hissen.
Bedrohlich dröhnt der Donner.
Karim zupft an meinem Ärmel und deutet mit ausgestrecktem Arm nach vorn. »Da ist die Höhle, in der wir heute Nachmittag das Versteck der Templer entdeckt haben«, flüstert er.
Im flackernden Licht des Gewitters erkenne ich ein von Disteln und Dornengestrüpp zugewuchertes niedriges Loch unterhalb der hoch über mir aufragenden Stadtmauer, die zwischen Damaskus- und Herodestor das muslimische Viertel umschließt.
Yared tritt neben mich. Seine mit Ruß geschwärzte Rüstung schimmert matt. Unter dem mit einem schwarzen Turban umwickelten Helm kann ich sein Gesicht kaum erkennen.
»Und?«, frage ich.
»Ich dachte, ich hätte etwas gehört.« Yared zuckt mit den Schultern. »Ist Elija da drin?«, fragt er Karim und nickt in Richtung des Einstiegs.
»Ja, Emir«, nickt der Junge respektvoll. »Die Templer haben ihr Lager am Ende der Höhle des Zedekia aufgeschlagen.«
»Der Höhle des Zedekia?«, fragt Yared nach.
»Es heißt, dass der König durch dieses Höhlenlabyrinth entkam, als die Babylonier Jeruschalajim belagerten und den Tempel zerstörten«, meldet sich Akiva aufgeregt zu Wort und deutet auf einen von Disteln überwucherten Hügel jenseits der Olivenbäume. »Aus der Höhle des Zedekia stammten die Steine des ersten Tempels. Deshalb wird sie auch ›Salomos Steinbruch‹ genannt«, spult der kleine
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