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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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der Engel des Herrn ihn führte.
    Als die jungen Israeliten zur Abreise nach Äthiopien bereit waren, segnete Salomo seinen Sohn. Der Erzengel Michael gab den Kindern Israels Geleit und Schutz. Erst auf dem Weg den Nil hinauf durch Ägypten vertrauten sich die jungen Israeliten Menelik an und zeigten ihm die Lade von Zion. Gott habe ihn als Diener der Lade auserwählt. Sie werde ihn und seine Nachkommen stets leiten, sofern er die Gebote halte und den Willen Gottes erfülle. Menelik war überwältigt. Der junge König erkannte, dass ein solch beherztes Wagnis ohne Gottes Duldung nie hätte gelingen können. Er tanzte und sang vor der Lade des Gottesbundes, wie es sein Großvater David getan hatte, als er sie nach Jerusalem brachte. Nach seiner Rückkehr nach Äthiopien wurde Menelik von Azaryas noch einmal gesalbt. Als Kaiser David begründete er die salomonische Dynastie.«
    »Und die Lade bescherte Menelik und seinen Nachkommen den Sieg, wann immer sie gegen ihre Feinde kämpften«, füge ich mit einem feinen Lächeln an. »Das Kebra Negest scheint die Gründungsgeschichte der herrschenden Dynastie zu enthalten, die seit Jahrhunderten von Feinden wie Sultan Bedlay bedroht wird, die sie stürzen und vernichten wollen.«
    Gebre Christos nickt bedächtig. »Du zweifelst.«
    Das Dröhnen der Glocke der Grabeskirche, die zur elften Stunde schlägt, übertönt beinahe seine Worte.
    »Warum hast du mir in Florenz nie davon erzählt, Abuna?«
    Gebre Christos blättert im Folianten und zeigt mir eine Miniatur. Ein Engel mit ausgebreiteten Flügeln tröstet den weinenden Salomo, der in seiner Verzweiflung beide Hände vors Gesicht geschlagen hat.
    »Das Kebra Negest berichtet von der tiefen Trauer, die Salomo ergriff, als er erfuhr, dass die Lade Zions nicht mehr im Tempel ist. Der Engel fragte ihn: ›Warum bist du so traurig? Das ist doch nach dem Willen Gottes geschehen. Die Lade des Gottesbundes ist nicht irgendjemandem gegeben worden, sondern deinem erstgeborenen Sohn.‹ Da tröstete sich der König und sprach: ›Nicht mein Wille geschehe, sondern der Wille Gottes.‹ Aus den Hölzern, die Azaryas im Allerheiligsten zurückgelassen hatte, um den Verlust der Lade zu verheimlichen, baute Salomo einen neuen Schrein und legte das Gesetzbuch hinein. So wurde den Juden der Verlust der echten Lade bis zur Eroberung Jerusalems durch die Babylonier verschwiegen.«
    Gebre Christos sieht mir fest in die Augen.
    »Alessandra, mein Kind, Gott hat uns das Tabot geschenkt. Nachdem er König Salomo seine Gnade entzogen und die Juden verworfen und ins Exil vertrieben hat, sind nun wir das auserwählte Volk. Wir sind das neue Israel. Wir wollen nicht, dass man uns den Gottesschrein wegnimmt. Das Wahrzeichen des Bundes der Gnade. Das Symbol von Iyasus Christos und des Gesetzes, das er uns gab. Also bewahren wir Stillschweigen.«
    Yared hat den Blick gesenkt, als Gebre Christos die Juden als verworfenes Volk bezeichnete. Die Worte des Abuna haben ihn tief getroffen, das sehe ich ihm an.
    »Wer könnte so etwas tun?«
    »Prinz Henrique und seine Christusritter. Hast du mir nicht selbst erzählt, dass sie das Reich des Priesterkönigs Johannes suchen, des Hüters der Tafeln des Gesetzes?«
    Ich nicke stumm.
    Ehrlich gesagt, ich bin verwirrt. Wohin führt die Schatzkarte der Templer? Hat das Kebra Negest recht? Gibt es womöglich zwei Gottesschreine?
    Ich atme tief durch. »Erwähnt irgendein Historiker die Lade in Äthiopien?«
    »Abu Salih al-Armani hat sie beschrieben.«
    »Wer ist Abu Salih – ein Armenier?«
    »Ein orthodoxer Gelehrter, der in Al-Kahira von der Lade des Gottesbundes hörte, während er ein Buch über die Kirchen und Klöster Ägyptens verfasste.«
    »Wann war das?«
    »Während der Regierungszeit von Kaiser Lalibela.«
    »Der im Exil in Jerusalem war, als Sultan Salah ad-Din 1187 die Stadt eroberte?«, hake ich nach. »Der Kontakt mit den Templern in ihrem Hauptquartier in der Al-Aqsa hatte? Der nach seiner Rückkehr nach Äthiopien die Felsenkirchen von Lalibela als Neues Jerusalem errichten ließ?«
    »Der heilige Lalibela«, bestätigt Gebre Christos. »Den Abu Salih als Nachkommen von Moses und Aron bezeichnete. Er schrieb, dass das Tabot in der Stadt Lalibela verehrt wurde. Entweder im kaiserlichen Palast oder in einer der Felsenkirchen. Die Lade, die er auf Arabisch Tabutu al-Ahdi, ›das Tabot des Gottesbundes‹, nennt, beschrieb er in allen Einzelheiten. Ebenso die Liturgie der Gottesdienste. Der

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